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Ha, das macht Spaß, durch die zusammengekehrten Laubhaufen zu fahren wie ein Wirbelwind. Imke und ihr älterer Bruder sind mit ihren Rädern im Park. Ihr haben es die Eltern nur widerstrebend erlaubt und Holger eingeschärft, gut auf sie Acht zu geben, da passiert es: Imke gerät mit dem Vorderrad in eine Vertiefung, die sie nicht gesehen hat, weil sie unter so einem Laubhaufen versteckt war, fliegt vom Fahrrad und landet auf dem Bauch. Als der erste Schreck vorüber ist, packt sie panische Angst, jetzt querschnittsgelähmt zu sein. Ihre Eltern haben sie immer wieder gewarnt: Wenn dir etwas zustößt mit dem Fahrrad, kannst du querschnittsgelähmt werden. Deine Wirbelsäule ist gebrochen, du kannst dich nie mehr bewegen und sitzt dein Leben lang im Rollstuhl.
Imke bleibt liegen und wagt sich nicht zu rühren, aus Angst, es feststellen zu müssen: Ich bin querschnittsgelähmt, ich kann mich nie mehr bewegen. Fast eine halbe Minute bleibt sie so liegen, dann gibt sie sich einen verzweifelten Ruck - und steht auf: Alle Glieder gehorchen ihr, der Bann ist gebrochen. Imke atmet auf, aber das Gefühl der Erleichterung ist sofort wieder vorbei, als sie ihr Rad sieht: Das kann doch nicht sein! Der Rahmen ist geknickt, das Fahrrad ist unbrauchbar. Das dürfen ihre Eltern nicht sehen, sie hört schon ihren Vater: Sie dir den Rahmen an, einfach geknickt wie ein Streichholz, der Rahmen aus Stahl! Das ist mit furchtbarer Wucht aufgeprallt. Du musst ja gefahren sein wie ein Berserker! Dürfen wir denn keine ruhige Minute mehr haben? Er wird nicht glauben, dass es nur ein blödes kleines Loch war, das man unter den Blättern nicht sehen konnte. Imke sieht ihn das geknickte Rad vor Wut schütteln: Da, sieh her, du musst ja selbstmörderisch gerast sein. Und uns hast du versprochen, hoch und heilig versprochen, vorsichtig zu fahren. Ab sofort rührst du kein Fahrrad mehr an, das ist ja wohl klar! Verdammt! Sie kennt es so gut, das Affentheater, das sich abspielen wird: Oben in der Wohnung erzählt er Mutter alles aufgebracht und fordert sie auf, mit ihm hinunterzugehen und sich das Rad anzusehen. Sie redet beschwörend auf ihn ein: Bitte beruhige dich! Bitte, denk an deinen Blutdruck! Aber er besteht darauf, dass sie mit ihm hinuntergeht und es sich ansieht. Dann bekommt sie wohl wieder ihre Migräne und muss sich tagelang ins verdunkelte Schlafzimmer zurückziehen und Imke ist schuld.
Sie beschließt, die Eltern anzulügen, das Fahrrad im Teich zu versenken und den Eltern zu sagen, es ist gestohlen worden. Sie sieht an sich herunter: Das ist furchtbar: Ihre Kleider sind vorne vom Aufprall schmutzig, die Strumpfhose sogar an einer Stelle zerrissen und ihr Kinn tut weh: Sie fühlt mit dem Finger: Es blutet! Nein, sie darf ihren Eltern nicht die Wahrheit sagen. Sie wird ihr Rad im Teich versenken und sagen, es ist gestohlen und sie ist beim Suchen über eine Wurzel gestolpert. Holger, der erschrocken das kaputte Rad ansieht, ist einverstanden: „Mann, das verzeihen sie mir auch nicht. Ich sollte doch auf dich aufpassen und dich nicht aus den Augen lassen!"
„Sag mal, wie sieht denn mein Kinn aus? Blutet das schlimm?"
„Nein, nur ein Kratzer, nicht schlimm!"
Imke spürte trotzdem keine Erleichterung, denn ihre Eltern werden es natürlich nicht so abtun: „Nur ein Kratzer, nicht schlimm".
Die beiden beschließen, es zu Hause so zu erzählen. Sie sind am Weiher spazieren gegangen und haben ihre Räder vorher an einem Baum abgestellt und abgeschlossen. Als sie zurückkommen, ist Imkes Rad weg. Sie haben noch lange im Park gesucht, in der Hoffnung, jemand hat nur ein paar Runden damit gedreht und es dann irgendwo stehen lassen. Dabei ist Imke, als es schon dunkel war und sie in einem Gestrüpp suchten, über eine Wurzel gestolpert.
Sie warten, bis es dämmert, damit keiner sie sieht, wie sie es im Teich versenken. Ihr Bruder packt es, nimmt Schwung und schleudert es ins Wasser. Es versinkt spurlos. Imke ist froh, dass ihr Bruder zu ihr hält. Wenn es darum geht, etwas vor den Eltern zu verheimlichen, kann sie sich auf ihn verlassen, und umgekehrt; das Rad ist nicht die erste gemeinsame Leiche, die sie zusammen im Keller haben.
Trotzdem hatte Imke Angst, von ihren Eltern durchschaut zu werden oder sich irgendwie selbst zu verraten. Zu Hause war nur Vater. Als sie ihm mit weichen Knien unter die Augen trat, rief sie verzweifelt und kläglich: „Papa! Papa! Mein Rad ist gestohlen!"
„Wer war das? Was ist mit dir passiert?" Er starrt sie erschrocken an.
„Wir haben den Dieb nicht gesehen." erklärt Holger. „Wir sind am Weiher spazieren gegangen und haben unsere Räder vorher an einen Baum gestellt und abgeschlossen. Als wir zurückkamen, da war ihr Rad weg. Wir dachten, vielleicht hat einer nur ein paar Runden damit gedreht und es dann irgendwo stehen lassen, und haben es gesucht, überall. Imke ist dann über eine Wurzel gestolpert und hingefallen, als wir in einem Gestrüpp gesucht haben und als es schon dunkel war." Er erzählt die Lügengeschichte ruhig und selbstsicher, so dass er glaubwürdig wirkt; Imke wird dadurch innerlich etwas ruhiger.
„Ich hatte zuerst gedacht, der Verbrecher hätte dich so zugerichtet" sagte Vater leise, lässt sich auf einen Stuhl sinken, schließt die Augen, atmet mit offenem Mund langsam und gleichmäßig, man sieht, dass es sich von einem Schock erholt. Dann sieht er Imke an: „Du armes Kind, als dein schönes Fahrrad weg war, das ist dir nahe gegangen, nicht wahr?"
Sie nickt bekümmert.
Du warst ganz aufgeregt und bist deshalb über eine Wurzel gestolpert?"
Sie nickt wieder bekümmert.
Er nimmt sie in die Arme, nach einer Weile sagt er voller Mitgefühl: „Ich muss jetzt deine Wunde säubern und mit Jod abtupfen, um schädliche Keime abzutöten. Das brennt ein bisschen, geht aber schnell wieder vorbei."
Er reinigt schonend ihr Kinn mit einem angefeuchteten Taschentuch. Dann desinfiziert er die Schramme mit Jodtinktur. Imke verzieht das Gesicht und stöhnt.
„Es ist sofort vorbei. Dieser Verbrecher raubt natürlich ein Kind mit der gleichen Skrupellosigkeit aus wie einen Erwachsenen. Das es für ein Kind viel schlimmer ist, wenn ihm ein Verbrechen angetan wird, der Gedanke kommt ihm erst gar nicht."
„So, fertig!" Er klebt ein Pflaster auf die Schramme und legt wieder seinen Arm um sie: „Imke, ich verspreche dir eines, ich werde nichts unversucht lassen, um den Kerl zu kriegen, der dir das angetan hat."
Imke hat ein schlechtes Gewissen und Angst. Sie lässt sich liebevoll verarzten und bedauern - alles unverdient, das verzeiht er ihr nicht, wenn es herauskommt.
„So, jetzt geh dich umziehen. Zieh dir saubere Kleider an!"
Als sie umgezogen zurückkommt, meint er: „So, jetzt gefällst du mir schon besser:" Er fährt, plötzlich mit aggressiver Siegesgewissheit, fort: „Einen Trumph haben wir in der Hand! Ich habe mir die Nummer des Fahrradrahmens aufgeschrieben. So kann die Polizei das Rad identifizieren." Er schließt ein Fach des Wohnzimmerschranks auf, das immer verschlossen und den Kindern unzugänglich ist, weil in ihm wichtige Dokumente wie Versicherungspolicen und Geburtsurkunden aufbewahrt werden. Er holt einen Zettel hervor und liest eine vielstellige Nummer: „Gleich morgen gehen wir zur Polizei und zeigen den Diebstahl an!"
Auf der Polizeiwache war es Imke und Holger unbehaglich zumute. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass sie nach den Eltern auch noch die Polizei anlügen mussten. Die Polizei auf eine falsche Fährte setzen! Sie nach einem Mann fahnden lassen, den es gar nicht gibt! Das ist schon ein anderes Kaliber.
Aber es schien gut zu gehen. Der Polizeibeamte, der die Anzeige aufnahm, fragte nur, was nötig war und zeigte keine besondere Anteilnahme, so dass ihr Vater sich noch lange darüber aufregte, wie dieser Akt von sinnlosem Vandalismus als Routineangelegenheit abgefertigt wurde. „Der Polizei sind eben nur wirklich schlimme Taten wichtig!", widersprach ihm Imke, natürlich nur in Gedanken. „Die machen nicht so ein Drama draus wie du! Wenn die aus jeder Mücke einen Elefanten machen würden, kämen die ja gar nicht mehr zur Ruhe! Beruhig dich wieder. Es gibt anderes im Leben, das wirklich wichtig ist!"
Vater kaufte Imke noch am selben Tag ein neues Fahrrad, aber mit einem anderen Schloss, keinem Zahlenschloss. Auch Holger bekam ein anderes Schloss. Vater hatte den Polizeibeamten gefragt, welche Art von Schloss besonders sicher sei. Zahlenschlösser, so erfuhr er, seien es nicht. Diebe haben oft ein überfeines Gehör. Wie ein Tier, das im Wald selbst das kleineste Knacken wahrnimmt, so hören sie, wenn die richtige Zahl eingestellt wird.


Die Tür zum Kinderzimmer öffnete sich. Es war ihr Vater. Er war ungewöhnlich ernst, schluckte und sagte, taktvoll, weil er ihr eine schlechte Nachricht beizubringen hatte: „Imke, die Polizei hat angerufen. Sie haben dein Fahrrad gefunden, allerdings so beschädigt, dass es unbrauchbar ist."
Imke ist zusammengezuckt und sieht ihn erschrocken an.
„Zerstörung ohne Sinn... pure Zerstörungswut war das wohl. Es muss ein Halbstarker gewesen sein. Er hat sich einfach dein Fahrrad geschnappt, ist damit gefahren wie ein Wilder, hat es schließlich zu Bruch gefahren und in einen Teich geschmissen... Kind! Es ist bitter, wenn einem etwas Böses zugefügt wird, und das Böse ist stark in dieser Welt, und ich bin nicht der liebe Gott. Ich bin nicht allgegenwärtig und nicht allmächtig, ich kann dich nicht gegen alles Böse abschirmen."
Er sieht sie voller Mitgefühl an und streicht ihr übers Haar. Dann steht auf und sagt: „Komm mit, wir fahren zu dem Teich! Die Polizei will uns ein paar Fragen stellen."
Imke war nicht wohl in ihrer Haut. Als sie sich dem Weiher näherten, sah sie Polizeiautos, Polizisten und Froschmänner. Am Ufer auf dem Rasen stand ein Sarg, geschlossen, nicht weit von ihm erkannte Imke ihr geknicktes Fahrrad, schmutzig und rostig, ihr Vater war blass, sie wusste, dass ihm der Anblick weh tat. Sie hatte später in der Zeitung gelesen, dass die Polizei einen Selbstmörder, einen etwa 50-jährigen, hoch verschuldeten Mann, der nicht schwimmen konnte, aus dem Weiher gefischt hatte. Da die Polizei aber Mord nicht sofort ausgeschlossen hatte, wollte sie klären, ob das ebenfalls im Teich gefundene, auffällig beschädigte Fahrrad damit im Zusammenhang steht, und ein Polizist befragte Imke und ihren Vater. Es war ein älterer Mann, dessen durch Lebenserfahrung reifes, verschmitztes Gesicht sympathisch wirkte.
Er fragte Imke, wer alles die Zahlenkombination von ihrem Schloss kennt und ob sie sie jemandem, vielleicht einem Klassenkameraden, verraten hat. Imke erklärte, sie habe die Zahl niemandem verraten und außer ihr kenne sie nur ihr Vater und ihr Bruder Holger. Dabei blickte sie ihm treuherzig in die Augen, wie ein Kind, das nicht lügt - sie lügt ja auch nicht, sie hat die Zahlenkombination wirklich niemandem verraten und wirklich nur Vater und Holger kennen die Kombination. „Und ich weiß die Kombination von Holgers Fahrradschloss" fügt sie hinzu, „Es ist 1057." Sie merkt instinktiv, dass sie ihm gefällt. Das macht sie sicherer.
„Erzähl mir mal etwas über dein Fahrrad. Fährst nur du allein damit? Oder lässt auch schon mal einen anderen damit fahren?" Der Polizist macht plötzlich eine strenge, mürrische Miene: „Oder sagst du dann: Nein, kommt überhaupt nicht in Frage!"
„Nein, nur ich bin damit gefahren" antwortet Imke weiter treuherzig, „Ich habe es nie verliehen."
„Das darf sie auch gar nicht", sagte ihr Vater. „Das habe ich ihr verboten."
„Der Einzige, dem ich es leihen würde, ist mein Bruder", fügt Imke hinzu.
„Der aber sein eigenes Fahrrad hat, so dass er es wohl nicht gewesen war" meint der Polizist sanft und mit einem kaum merklichen Anflug von Ironie.
Imke nimmt die Ironie nicht wahr und antwortet, sich sicher und wohl fühlend: „Ja".
„Ich versuche mir ein Bild von dem Dieb zu machen. Wie müssen wir uns ihn wohl vorstellen? Er hatte doch zwei Räder zur Auswahl. Das deines Bruders und deines. Und er hat deinem den Vorzug gegeben, einem Damenrad. Wie soll ich mir das erklären?"
Imke runzelt die Stirn und denkt verzweifelt nach: „Vielleicht wollte er es seinem Mädchen schenken!"
„Ja, ja, die Mädchen! Oder ist es vielleicht so, dass die junge Dame selbst ihr Rad zu Bruch gefahren hat?"
„Nein, ich war es nicht!" ruft sie erschrocken und hört ihren Vater: „Herr Wachtmeister, mir ist etwas Wichtiges eingefallen." Er starrt sie an, seine Stimme bebt, Imke spürt, dass ihre Tat und ihre Lügnerei böses Blut machen, aber er beherrscht sich so gut, dass er das Folgende langsam und sorgfältig formuliert wie vor einer hohen Instanz. Dabei scheint es ein bisschen, als ob er Hochdeutsch als Fremdsprache spricht, weil er sich jedes Wort überlegt: „An dem besagten Tag, an welchem Imke ohne ihr Fahrrad zu Hause erschien, war ihre Kleidung auf der Vorderseite schmutzig und an einer Stelle zerrissen. Sie erklärte mir, sie sei auf der Suche nach ihrem Rad gestolpert, über eine Wurzel gestolpert und der Länge nach hingeschlagen."
„Ein Unfall! Die junge Dame wird zu Boden geschleudert, ihr Rad geknickt."
„Nein, so war es nicht!" erwidert Imke verzweifelt. „Wir haben das Rad gesucht, Holger und ich. Es wurde schon dunkel. Ich bin über eine Wurzel gestolpert, die ich nicht gesehen habe. Weil es schon dunkel war!"
„Und warum eine Suchaktion? Ein Dieb macht sich doch auf und davon mit seiner Beute. Hast du allen Ernstes geglaubt, er stellt dein Rad wieder irgendwo in der Nähe ab?"
„Ich habe gedacht, einer hat sich nur einen Spaß gemacht und es wieder irgendwo hingestellt."
„Einer hat sich nur einen Spaß gemacht? Das soll ich dir abnehmen?"
„Ich habe halt gehofft, dass es so ist. Ich wollte nicht ohne Rad nach Hause kommen."
„Warum? Weil dein Vater sonst böse gewesen wäre?"
„Ja" antwortete sie kurz davor loszuheulen.
„Das ist gelogen!" stieß ihr Vater hervor. „Dir kann ich ja nicht mehr trauen und muss wieder jeden Tag mit etwas Schlimmen rechnen wie im Krieg. Du hättest tot sein können oder verkrüppelt im Rollstuhl. Und ich habe ihr Glauben geschenkt! Auf Anhieb! Wissen Sie, was ich mir vorgestellt habe? Dass ein Halbstarker das Rad gestohlen und zu Bruch gefahren hat, ich Idiot!"
„So abwegig ist diese Vorstellung nicht, Herr Urban. Es ist gut möglich, dass es Halbstarke waren. Die jungen Herren haben sich betrunken, bekommen Lust auf eine Spritztour und stehlen sich einfach ein Auto, ein Motorrad, ein Fahrrad und rasen los - ohne Rücksicht auf Verluste. Ich bin seit zwei Jahrzehnten Polizist und habe da meine Erfahrungen. Das dürfen sie mir glauben."
Ihr Vater schweigt einige Sekunden grübelnd, dann sagt er: „Herr Wachtmeister, darf ich ihnen eine Frage stellen, die mir schon lange auf dem Herzen liegt und die ich schon immer einem Mann der Polizei stellen wollte, der sich ja von Berufs wegen mit dem Verbrechertum auskennt. Diese Halbstarken gibt es doch erst seit einigen Jahren. Wieso konnte dergleichen einreißen in Deutschland?"
„Ich weiß es auch nicht, Herr Urban. Ich weiß nur, es muss mit der heutigen Zeit zu tun haben, denn früher gab es das nicht. Ich erinnere mich noch gut, wie ich als junger Mann meinen Dienst bei der Kölner Polizei antrat. Das war unter Hitler. Man kann vieles an ihm kritisieren, aber eines weiß ich aus Erfahrung: Unter Hitler war Deutschland sauber. Es gab keine Halbstarken, denn das Verbrechertum wurde hart angepackt, und dass Halbwüchsige auf der Straße herumlungern, das gab es nicht, die waren in der Hitlerjugend, wo sie erst gar nicht auf dumme Gedanken kamen, die Menschen konnten nachts ohne Furcht auf die Straße gehen."
Und ihr Vater stieß hervor: „Ich war nie ein blinder Gefolgsmann der Nazis. Aber oft denke ich, der Adolf müsste noch einmal zurückkommen und mit dem ganzen Gesocks aufräumen."
„Und ein Weiteres!" sagte der Polizist, „Früher, unter Hitler, konnte auch nicht einfach jeder Strolch in unser Deutschland hineinspazieren. Aber heute? Was jetzt alles in unser Land hereingelassen wird: Italiener, Spanier, Griechen, Jugoslawen, neuerdings Araber aus Afrika! Und dazu kommt: Deutschland ist wieder ein Tummelplatz für Neger! Das verdanken wir den Amis mit ihren Negersoldaten. Ich war vor einigen Wochen mit meiner Familie zu Besuch bei meinem Bruder. Er wohnt in Nürnberg, dort sind Amerikaner stationiert. Als wir mit unserer 14-jährigen Tochter über den Bahnhofsplatz gingen, lungerten fünf Neger auf einem Haufen dort herum und starrten sie an. Natürlich ohne jede Scham, woher sollen Neger so etwas auch haben? Mir wurde klar, dass ich Irene nicht im Dunkeln allein auf die Straße lassen darf, so weit ist es wieder gekommen! Die schwarzen Kerle stürzen sich doch auf sie! Es sind Tiere aus dem Urwald. Die kennen keine Zucht."
Imkes Vater atmet schwer: „Wenn ich mir das Fahrrad meines Kindes ansehe: Das ist die Handschrift eines Wilden! So ein Kaffer weiß doch gar nicht, was Eigentum ist! Wie auch? Im Urwald lernt man doch nicht, mit Dingen pfleglich umzugehen. Ein Fahrrad - das halten sie nicht in Ehren. Sie rauben es, fahren es zuschanden, und wenn sie sich daran ausgetobt haben, werfen sie es einfach weg und haben es vergessen."
Je länger ihr Vater und der Polizist einmütig auf Halbstarke und Ausländer schimpften, desto intensiver empfand Imke Erleichterung. Halbstarke und Ausländer, besonders Neger zogen den Hass der beiden Männer offenbar so heftig auf sich wie ein metallener Blitzableiter Blitze. Es war für Imke, als ob ein Gewitter, das sie schutzlos auf freiem Feld überrascht hat, sich verzog und seine Blitze woandershin sendete, wo wirklich das Böse ist, denn sie hat das Rad ja nicht mit Absicht kaputt gefahren - es war ein Unfall. Sie atmete auf. Etwas Drohendes, ein Fluch, lässt von ihr ab. Ach, Aufatmen-Können ist so süß!
Auf der Fahrt nach Hause bekam Imke doch wieder Angst. Sie konnte auf einmal nicht so recht glauben, dass die Gefahr sich verzogen hat. Vielleicht lauert das Gewitter noch über ihr, ein Mucks nur, und sie wird entdeckt und vom Blitz getroffen. Also saß sie noch immer wie gelähmt und kleinlaut im Wagen, aber Vater sagte, und die Erschütterung bebte noch in seiner Stimme nach: „Kind, du siehst, wozu das Pack fähig ist, lass dich nie mit so etwas ein! Und jetzt sei bitte still, Kind, ich muss mich auf den Verkehr konzentrieren, sonst passiert noch ein Unfall!"

   
 
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