Im
Horrorfilm von 1951, Das Ding aus einer
anderen Welt, den Howard Hawks produziert hat, stürzt ein Ufo von einem
anderen Planeten bei dem Versuch, auf der Erde zu landen, am Nordpol ab und
wird im Eis eingeschmolzen. Von einer US-amerikanischen Forschungsstation am
Nordpol aus suchen Wissenschaftler und Soldaten die Absturzstelle auf. Ihr
Versuch, das havarierte Raumschiff zu bergen, misslingt: Als sie es aus dem Eis
freischmelzen wollen, explodiert es. Doch einer der Insassen, der beim Absturz
offenbar herausgeschleudert wurde, ist
im Eis eingefroren. Das Wesen wird von den US-Amerikanern aus dem Eis
herausgehauen und in dem Eisblock, in dem es gleichsam eingesargt ist, zur
Forschungsstation gebracht. Dort kommt es zum Streit zwischen Dr. Carrington,
dem Leiter des Wissenschaftler-Teams, und Captain Hendry, dem Vorgesetzten der
Soldaten. Dr. Carrington will den Alien sofort auftauen, um ihn
wissenschaftlich zu untersuchen, während
Captain Hendry damit warten will, bis er dazu die Erlaubnis von seinem
militärischen Vorgesetzten erhält. Er setzt sich durch und der Alien wird nicht
sofort aufgetaut, sondern in seinem „Eissarg“ in einem Lagerraum der
Forschungsstation aufbewahrt. Der Soldat, der ihn bewachen muss, erträgt seinen
grausigen Anblick nicht und verhüllt den Eisblock mit einer Decke, bei der es
sich leider um eine Heizdecke handelt: Das Wesen wird aufgetaut, es erhebt sich
aus seinem frostigen Grab, sein Schatten fällt auf den Soldaten, der, obwohl er
von dem Alien nicht angegriffen wird, in Panik gerät und auf ihn schießt. Das
Wesen entkommt aus der Forschungsstation und wird auf seiner Flucht von
Schlittenhunden angefallen, die ihm einen Arm ausreißen. Als Dr. Carrington und
die anderen Wissenschaftler diesen Arm im Labor der Forschungsstation
untersuchen, stellt sich heraus, dass es sich bei dem Alien um eine Pflanze
handelt und dass der Arm mit Blut bespritzt ist, das von den Hunden stammt, mit
denen der Alien gekämpft hat. Der abgerissene Arm, der dem arktischen Frost
ausgesetzt war und deshalb leblos und starr auf dem Labortisch liegt, wird in
dem geheizten Raum aufgewärmt und dadurch in die Lage versetzt, „to ingest the
canine blood“. Durch diese Nahrung wird der Arm offensichtlich wieder
aufgepäppelt und lebendig, denn er beginnt, sich zu bewegen – „the hand became
alive“, stellt Dr. Carrington fest. Das unheimliche Wesen ernährt sich also von
Blut, es ist eine Art Vampir und deshalb mit Dracula in Bram Stokers Horrorklassiker verwandt. Und die
Verwandtschaft reicht noch weiter. Gemeinsam ist Stokers Roman und Hawks‘ Film
auch das Thema Invasion. Dracula verlässt seine Heimat Transsilvanien und kommt
nach England in feindseliger Absicht. Er will möglichst vielen Engländern Blut
aussaugen und sie dadurch zu Vampiren, zu seinesgleichen machen, also eine
dominante Parallelgesellschaft gründen. Auch im Film von 1951 sind die Aliens,
von denen nur einer die Havarie überlebt hat, gekommen, um die Erde zu erobern und
sich vom Blut von Menschen und Tieren zu ernähren. Stokers Dracula gehört
deshalb zum Genre der Invasionsliteratur,
und Hawks‘ Film lässt sich als Invasionsfilm charakterisieren. Gemeinsam ist
Stokers Roman und Hawks‘ Film auch die Bedeutung der Erde, die für die Monster
lebenswichtig ist. In den Focus des Films rückt deshalb das Erdreich, das die
Wissenschaftler zum Nordpol mitgebracht haben, um in ihr in dem Treibhaus, das
zur Forschungsstation gehört, Erdbeeren und verschiedene Gemüsesorten zur Bereicherung
ihres Speisezettels zu ziehen. Wegen dieser Erde setzt sich der Alien im
Treibhaus fest, säht in sie Samen, die sein Körper hervorbringt, so dass in ihr
seine Kinder in Gestalt zahlreicher Pflanzen wachen. Die Erde braucht er also
zu seiner Fortpflanzung, zur Züchtung einer Armee von seinesgleichen, die die
Erde unterwerfen soll. Auch für Dracula ist seine transsilvanische Heimaterde
lebenswichtig. In ihr muss er ruhen, um sich zu erholen. So wie die Forscher in
Hawks‘ Film amerikanische Erde zum Nordpol mitgebracht haben, so führt Dracula
transsilvanische Erde mit sich nach England. Sie befindet sich in 50 Kisten, in
denen sich Dracula gerne ausruht, denn diese Erde hat regenerative Wirkung auf
ihn, aus ihr schöpft der Vampir neue Kraft für seine Invasion. Was ist nun an
dieser Erde so besonders, dass Dracula ohne sie in England nicht überlebt?
Transsilvaniens Erde wurde – wie Dracula stolz erzählt - in zahlreichen Kriegen
mit dem Blut gefallener Soldaten gedüngt:
… there is hardly a foot of soil in all this region
that has not been enriched by the blood of men, patriots or invaders.
Es ist das Blut, aus dem der Vampir die Kraft zum Überleben
zieht. Auch das Erdreich, in das der Alien in Hawks‘ Film seine Samen sät, um
auf dem Planeten Erde nicht auszusterben, ist mit Blut gedüngt, mit dem Blut
zweier Männer, die der Alien zu diesem Zweck getötet hat.
Die Literaturwissenschaft hat herausgefunden, dass Draculas
Heimat Transsilvanien für ein von England kolonisiertes Land steht (1), für
Irland (2) oder ein Land der Dritten Welt, und das Blutsaugen für Ausbeutung,
auch sexuelle Ausbeutung der Kolonisierten durch die Kolonisatoren. Nach
England kommt Dracula also als Rächer, der den Spieß umdreht. Wie die
britischen Imperialisten Iren, Inder oder Schwarzafrikaner kolonisiert und
ausgebeutet, sich von ihnen genährt haben, so beutet Dracula als Vampir die
Engländer aus und nährt sich von ihnen. Die Literaturwissenschaft spricht
deshalb von reverse colonization (3) und zählt Stokers Dracula zur Gattung der Invasionsliteratur.
Dracula verkörpert Ängste und rassistische Vorurteile, die die Engländer
angesichts der Masseneinwanderung armer irischer Arbeitskräfte in expandierende
Industriezentren wie London oder Liverpool hatten. Denn die irischen Männer
waren weniger zivilisiert und deshalb gesünder und männlicher als die im Luxus
verweichlichten englischen Männer der Oberschicht und durch ihren
Kinderreichtum eine bedrohliche Konkurrenz für die demographisch niedergehenden
Briten, die deshalb befürchteten, dass die Einwanderer bald England dominieren.
Schon ein Vierteljahrhundert vor Erscheinen des Romans Dracula konstatiert Stoker in seiner Rede The Necessity for Political Honesty (4) den Niedergang der
angelsächsischen Rasse und stellt ihr das lebenskräftige irische Volk, dem die
Zukunft gehört, gegenüber: „ … the native Anglo-Saxon race is dwindling“,
konstatiert er mit Blick auf die englischstämmige Bevölkerung der USA und
bescheinigt ihr „effeteness“, die aber durch die eingewanderten Iren
ausgeglichen werden kann, da das irische Volk, das „half barbarous amid an age
of luxury“ geblieben ist, „strength“ und „vital energy“ behalten hat.
Diese Ängste und Vorurteile gegenüber den Iren bringen Arata
und Valente so auf den Punkt:
They are reckless overbreeders (remember Jonathan
Harker’s agonized vision of the “new and ever-widening circle of semi-demons”
to be engendered by Dracula).
(5)
Through the vampire myth, Stoker gothicizes the
political threats to Britain caused by the enervation of Anglo-Saxon “race”.
…
… Dracula … is by his very nature
vigorous, masterful, energetic, robust. Such attributes are conspicuously
absent among the novel’s British characters, particulary the men. All the
novel’s vampires are distinguished by their robust health and their equally
robust fertility. The vampire serves, then, to highlight the alarming decline
among the British …
…
The vampire’s vigor is in turn closely connected with its virility, its ability
to produce literally endless numbers of offspring. … In marked contrast, the
nonvampires in the novel seem unable to reproduce themselves. Fathers in
particular are in short supply …
Arata spricht von “the fear of vampiric fecundity, a fecundity that threatens
to overwhelm the far less prolific British men.” (6)
Diese Vorurteile und Ängste spiegeln sich in Stokers Roman,
wenn Dracula als Einwanderer aus der Dritten Welt oder Irland Frauen der
Engländer wie Lucy Westenraa und Mina Harker sexuell attackiert und mit seinen
Opfern, die zu seinesgleichen, zu Vampiren werden sollen, eine
Parallelgesellschaft gründen will. Denn der Kolonisator ergreift nicht nur vom
Land der Eingeborenen Besitz, sondern auch von den Körpern der eingeborenen
Mädchen und jungen Frauen (7), die er sexuell ausbeutet. Deshalb werden Land
und Frauen als Objekte der Kolonisation gerne in einem Atemzug genannt. Ein
gutes Beispiel ist Coetzees Roman Disgrace,
der schildert, wie im Südafrika der Postapartheid die Folgen der Kolonisation
durch die Weißen noch nachwirken. Pollux, ein junger Schwarzer, vergewaltigt
Lucy, die weiße Tochter eines weißen Professors, der vorher eine seiner
farbigen Studentinnen sexuell missbraucht hat, ein Akt, der in der langen
Tradition der sexuellen Ausbeutung eingeborener Mädchen durch weiße Kolonialherren
steht. Lucys Vergewaltigung durch Pollux lässt sich als Rache deuten, als Akt
von reverse colonization. Als Lucy das Kind nicht abtreiben, sondern austragen
und aufziehen will, geht dem eifersüchtigen und rassistischen Vater Folgendes
durch den Kopf:
Something about Pollux sends him into a rage: his
ugly, opaque little eyes, his insolence, but also the thought that like a weed
he has been allowed to tangle his roots with Lucy and Lucy’s existence. (p. 209)
Der Same, den Pollux in Lucy gesät hat, wird aufgehen; das
„Unkraut“, das in Lucy keimt, ist Pollux‘ Fleisch und Blut, sein Kind. Aus der
Sicht des eifersüchtigen und rassistischen Vaters hat Pollux ihm seine Tochter
geraubt, sie kolonisiert. Weitere Beispiele für Konkurrenz um weiße Frauen, die
zwischen weißen Männern der Ersten Welt und nichtweißen Männern aus der Dritten
Welt ausgetragen werden, sind Shakespeares Drama Othello, wo es zur intermarriage zwischen Othello und Desdemona
kommt. Venedigs weiße Männer sind natürlich nicht begeistert, dass ein
hergelaufener Fremder, der auch noch dunkelhäutig ist, die Senatorentochter
Desdemona heiratet, machen aber gute Miene zum bösen Spiel, weil Othello ein
tüchtiger Admiral ist, den Venedig zur Abwehr des osmanischen Feindes braucht.
Er ist unersetzbar, denn einen Soldaten von seinem Format (I,1,152) bringt
Venedigs Männerwelt, diese „wealthy curled darlings“ (I,2,68), die im Wohlleben
der reichen Handelsmetropole weichlich und dekadent geworden sind, nicht hervor.
Zu Recht fürchten sie Othello als männlich und kriegerisch gebliebenen
Nebenbuhler, dem die Herzen der Frauen zufliegen.
Oder der Film King Kong von 1933, wo ein Riesenaffe die junge blonde Ann Darrow
als seine Braut beansprucht. Da der Affe aus einem Urwald der Dritten Welt
kommt, steht er für einen Mann aus der Dritten Welt, zum Beispiel einen
Schwarzafrikaner oder schwarzen Amerikaner, der aus der Sicht der weißen
Rassisten zwar primitiv ist, ein ape-man, der den tierischen Vorfahren der
Menschen noch sehr nahe steht (8), aber als sexueller Konkurrent zu fürchten
ist. Denn King Kong, der aus dem Urwald kommt, verkörpert die urwüchsige Kraft
einer von der westlichen Zivilisation nicht angekränkelten Kreatur. An
Körperkraft sind ihm die US-amerikanischen Männer nicht gewachsen, sie brauchen
moderne Technik wie gas bombs oder mit MPs bestückte Kriegsflugzeuge, um mit
ihm fertig zu werden. Dass er am Schluss des Films das Empire State
Building besteigt, hat symbolische
Bedeutung. Denn dieser Wolkenkratzer, das höchste Gebäude New Yorks (bis zum
Bau der Twin Towers), verkörpert Amerikas Macht und Größe (9) und ragt, um mit
Freud zu sprechen, als protziger Phallus empor. Ihn erklimmt King Kong, das
heißt, er bezwingt ihn, wie ein Bergsteiger einen Gipfel bezwingt, und zwar
zusammen mit Ann Darrow, die er ihrem weißen Verlobten geraubt hat – ein
sexuell gefärbter provokativer Akt.
Zurück
zum Stokers Roman: Dass Dracula Lucy Westenraas Blut trinkt, ist ein Akt von
reverse colonization. Er will nicht nur das Territorium der Eingeborenen,
sondern auch ihre Mädchen und Frauen in Besitz nehmen, was ihm bei Lucy auch
gelingt: Indem er ihr Blut saugt, verwandelt er sie in einen Vampir, in
seinesgleichen, macht sie so zum Teil der Parallelgesellschaft, die er in England
gründen will, und raubt sie der englischen Männerwelt.
Das gilt auch für den Alien im Ding aus
einer anderen Welt. Auch er hat es auf ein weibliches Wesen abgesehen, so
dass sich seine Invasion wie in Stokers Buch als sexuell gefärbter Akt von
reverse colonization deuten lässt, als Übergriff auf Frauen mit einhergehender
Demütigung weißer Männer. Doch wie kommen wir auf den Gedanken, der Alien stehe
in der Tradition von Othello, der Desdemona ihrem weißen Vater entführt, von
Dracula, der seine Fangzähne in Lucys Körper bohrt, ihr Blut trinkt und sie zu
seinesgleichen macht, und von King Kong, der Ann Darrow raubt? Zwei Frauen
gehören zur Besatzung der Polarstation, eine davon ist Nikki, die attraktive
Assistentin von Dr. Carrington, in die Captain Hendry verliebt ist. Doch keine
der beiden hübschen Frauen will der Alien vergewaltigen. Trotzdem hat er es auf
eine Frau, die zur Polarstation gehört, abgesehen. Es handelt sich um ein
mythisches weibliches Wesen: Mutter Erde. Im Treibhaus der Polarstation befindet
sich Erdreich, das die Forscher wohl aus den USA mitgebracht haben. In dieser
Erde, amerikanischer Erde, in der die Männer Gemüse und Erdbeeren zur
Bereicherung ihres Speisezettels züchten, sät der Alien seinen Samen und lässt
seine Kinder aus ihr wachsen. Und Erde, die in ihrem Schoss Samen empfängt und
mit den Früchten, die sie hervorbringt, die Menschen nährt wie eine Mutter, ist
weiblich - das ist eine uralte Vorstellung. Dafür drei Beispiele:
„Dafür, dass Saat und Ernte der Frucht mit Zeugung und Geburt
des Menschen, ich möchte sagen, in eins geschaut wurde, bietet attische
Religion die markantesten Zeugnisse“, schreibt Albrecht Dieterich in seiner
heute immer noch grundlegenden Abhandlung Mutter
Erde. Ein Versuch über Volksreligion. Von den vielen Beispielen, die
Dieterich anführt (10), sei hier nur eines herausgegriffen. In Sophokles‘ Drama Die Trachinerinnenist Deianeira die Gattin des Herakles, von dem
sie Kinder hat und sich trotzdem von ihm vernachlässigt fühlt, da der
abenteuerlustige Held selten bei ihr zu Hause ist; sie vergleicht sich mit
einem abgelegenen Acker und ihn mit dem Ackermann:
Wir zeugten
ja auch Kinder, die er dann und wann
so wie ein Landmann ein entlegnes Ackerfeld
beim Säen und beim Ernten einmal nur gesehn. (11)
Der Archetypus des Ackers, der weiblich ist, und des
Beackerns, das Zeugen bedeutet, hat auch Shakespeare inspiriert, als er im 3. Sonett seinen Geliebten beschwört,
einen Sohn zu zeugen, damit in ihm seine Schönheit, die im Alter verwelkt,
weiterlebe:
Look in thy glass, and tell the face thou viewest
Now is the time that face should form another;
Whose fresh repair if now thou not renewest,
Thou dost beguile the world, unbless some mother.
Forwhere is she so fair whose unear’d womb
Disdains the tillage of thy husbandry?
Schau in den
Spiegel, sprich zu deinen Zügen:
>Nun ist es Zeit, euch selbst zu konterfein.<.
Versäumst du das, wirst du die Welt betrügen,
Und unbeglückt wird eine Mutter sein.
Denn welcher Schönsten ungepflügter Schoß
Würd‘ es verschmähn, von dir bestellt zu werden? (12)
Auch der Koran
vergleicht die Ehefrau mit einem Saatfeld, das von ihrem Ehemann bestellt wird;
zu dem archetypischen Gleichnis gehört, obwohl es nicht ausdrücklich gesagt
ist, dass Sex nicht nur der Lust, sondern auch der Zeugung dient:
Eure Weiber
sind euch ein Acker. Gehet zu euerm Acker, von wannen ihr wollt; … (13)
Auch
der Alien in Hawks‘ Film ist ein Ackermann, der in die amerikanische Erde, die
den weißen Männern der Polarstation gehört, seinen Samen sät, damit sie seinen
Nachwuchs ausbrütet, eine Armee von Monstern, die sich die Erde untertan machen
wollen. Der Alien bringt die Erde im Treibhaus in seinen Besitz, „schwängert“
und bewacht sie.
Die beiden feindlichen Parteien, der Alien und die
US-Amerikaner auf der Polarstation, kämpfen also nicht zuletzt um die Erde,
ohne die der Eindringling seine überwältigende Fruchtbarkeit nicht entfalten
könnte. Das gilt auch für die feindlichen Parteien, Dracula und die englischen
Vampirjäger, in Stokers Roman. Denn wie die Polarforscher in Hawks‘ Film bei
ihrem Eindringen in die unberührte arktische Region Erde aus Amerika
mitgebracht haben, um Gemüse und Erdbeeren zu züchten, um also ihren Aufenthalt
auf diesem Vorposten ihres Vorstoßes zum Nordpol angenehmer zu gestalten, so
führt Dracula bei seiner Invasion Englands transsilvanische Heimaterde mit sich,
um aus ihr immer wieder neue Kraft für die Eroberung der imperialistischen
Metropole zu schöpfen. Die Vampirjäger legen geweihte Hostien auf Draculas Erde
und sterilisieren sie dadurch, so dass der Vampir keine regenerierende Kraft
mehr aus ihr schöpfen kann. Da „sterilisieren“ unfruchtbar machen bedeutet, hat
Arata Recht, der diese Akte als Angriff auf Draculas sexuelle Potenz und
Zeugungskraft, die so bedrohlich für die englischen Männer sind, deutet: „The
vampire’s vigor is in turn closely connected with its virility, its ability to
produce literally endless numbers of offspring. Van Helsing’s
concern that the earth in Dracula’s boxes be ‚sterilized‘ underlines the
connection between the Count’s threat and his fecundity“ (14). Ein Angriff auf Potenz und
Zeugungskraft des Alien besteht darin, dass die Schlittenhunde ihm einen Arm
ausreißen, was sich nach Freud als Kastration deuten lässt, zumal der Arm, der
für den abgetrennten Penis steht, phallischen Charakter hat: In seiner
Handfläche wachsen Samen, die Dr. Carrington in seinem Labor in Erde sät, so
dass aus ihr die Kinder des Alien wachsen – der abgerissene Arm ist eine Quelle
von Sperma!
Graf Dracula verkörpert einen Rächer, der nach England aus
einem kolonisierten Land der Dritten Welt kommt. Oder aus einem Land, das gar
nicht so weit weg ist, sondern zu den britischen Inseln gehört: aus Irland.
Das gilt auch für den Alien im Ding aus
einer anderen Welt. Die andere Welt, aus der er zu den US-Amerikanern
kommt, um Rache zu nehmen, kann Afrika sein – das legt eine Anspielung ganz am
Anfang des Films nahe, als einer der amerikanischen Luftwaffensoldaten, die
später vom Alien bedroht werden, sich erinnert, wie er in Accra in Ghana
stationiert war:
We met at Accra … the women hardly wore anything at
all. Very intelligent of them. You just lie there in a hammock while three of
them fan you.
Der Soldat war in der Rolle des Kolonialherren, der sich von
eingeborenen Frauen verwöhnen ließ. Wie Sklavinnen fächelten sie ihm Kühlung zu
und waren so gut wie nackt, also Sexualobjekte für den Soldaten der
imperialistischen Macht. Der Alien lässt sich also als Afrikaner deuten, der
die Polarstation, einen Vorposten der US-amerikanischen Macht, die sich auch
zum Nordpol ausdehnt, rächend heimsucht, indem er ein dortiges weibliches
Wesen, Mutter Erde, sexuell in seinen Besitz bringt und schwängert.
Wie bei Dracula kann man sich aber auch vorstellen, dass er aus keinem fernen
Land kommt, sondern aus einer Welt, die zwar eine andere ist, aber ganz schön
nahe liegt. So ruft ein Mann, der zur Besatzung der Polarstation gehört und
sieht, wie die Soldaten mit Äxten und Gewehren bewaffnet den Alien suchen,
überrascht aus:
What’s
up? Looks like a lynching party.
Wie man sich unter Dracula auch einen Iren vorstellen kann,
so unter dem Alien einen Mann aus der schwarzen Bevölkerung der USA, die ja so
oft Opfer von Lynchjustiz geworden sind. Dazu passt auch, was Dr. Carrington,
der offenbar ein antirassistischer Linker ist und sich für Willkommenskultur
und humane Behandlung des Einwanderers einsetzt, über ihn sagt:
… remember
it’s a stranger in a strange land. The only crimes were those commited against
it. It woke from a block of ice, was attacked by dogs and shot by a frightened
man.
Von Hunden der Weißen angefallen zu werden, gehört zur
kollektiven traumatischen Erinnerung der Schwarzamerikaner.
Das Monster „aus einer anderen Welt“ ist also ein Schwarzer aus der Dritten
Welt oder aus der Parallelgesellschaft der Schwarzen in den USA, die sich
selbst als Menschen der Dritten Welt, als innere Kolonien der USA verstanden.
Und die Erde, die er schwängert, steht für eine weiße Frau, da sie der weißen
Besatzung gehört und die von ihr gesäten Früchte, Erdbeeren und Gemüse,
ausbrütet. Dass er nun seinen Samen in diese Erde sät, spiegelt die Furcht der
Weißen vor intermarriage wieder, die 1950-1951, als der Film entstand, in
vielen US-Bundesstaaten noch verboten war. Damals galt immer noch in alter
rassistischer Tradition, dass die weiße Frau für den schwarzen Mann die
verbotene Frucht ist, und diese Überzeugung spiegelt sich auch in der
Polarstation: Denn das Gewächshaus und was in ihm wächst, Gemüse und Erdbeeren,
sind symbolisch: Die Tür zum Treibhaus ist fest verschlossen und über ihr
steht: KEEP DOORS CLOSED, denn – so erklärt das einer der Männer - die Eskimos
hätten eine Schwäche für die Erdbeeren und würden sie sonst stehlen. Die Erdbeeren
symbolisieren also die verbotene Frucht im Garten Eden, von der Adam und Eva
gekostet haben und deshalb aus dem Paradies vertrieben wurden und nicht mehr
zurückkönnen, weil die Pforte zu ihm für sie verschlossen ist und streng
bewacht wird. Von diesem Paradies sind die Menschen der Dritten Welt, hier am
Nordpol die Eskimos, ausgeschlossen, während es den Weißen offen steht. Die
Früchte dieses Paradieses, Gemüse und Erdbeeren, sind für die Weißen
reserviert, und im Film sieht man, wie einer der weißen Männer eine der für
Eingeborene verbotenen Früchte, eine Erdbeere, pflückt und kostet.
Deutet man die Erde, die der Alien mit seinem Samen „schwängert“, als weiße
Frau, so geht es in der Feindschaft, die in dem Film zwischen Mensch und Alien
herrscht, wie in Stokers Dracula auch
um sexuelle Nebenbuhlerschaft. Dazu passt auch, dass sich der Arm, der dem
Alien ausgerissen wird, als Phallus-Symbol deuten lässt – zur Lynchjustiz in
den USA gehörte häufig die Kastration des Opfers.
In Stokers Vampirroman und im Ding aus einer anderen Welt fürchten die weißen Männer den Anderen
als sexuellen Konkurrenten. So ist Dracula als Ire weniger zivilisiert als die
Engländer, also auch durch die Zivilisation weniger verweichlicht, überspitzt
gesagt, ein ungezähmter Wilder, ein Barbar geblieben und als solcher männlicher
und sexuell potenter als die Engländer. Lucy Westenraa, die Repräsentantin der
britischen Frauenwelt, fürchtet deshalb nicht nur seine sexuellen
Eroberungsversuche, sondern sehnt sie in ihrem Unterbewusstsein auch herbei.
Die Literaturwissenschaftlerin Kathleen Spencer hat festgestellt, dass Lucy im
Schlaf oder beim Schlafwandeln, wenn die Macht ihres kontrollierenden
Bewusstseins vermindert ist, sich von ihrer Sehnsucht nach Sex mit dem
männlichen Dracula leiten lässt. So entfernt sie im Schlaf die Knoblauchzehen,
die ihr der Vampirjäger Van Helsing um den Hals gelegt hat, um Dracula von ihr
abzuhalten. Und im Schlaf verlässt sie ihr Haus und wandelt zu dem Friedhof, wo
Dracula in einem leeren Grab wohnt und auf sie wartet (15). Die weißen Männer
fürchten Dracula also aus gutem Grund! Und da Dracula dank seiner Männlichkeit
attraktiver ist, dürfte Lucy Westenraa von dem unbewussten Wunsch getrieben
sein, den man „going native“ nennt – sie will zu Draculas Volksgruppe gehören.
Männer aus der Dritten Welt sind nicht nur männlicher und
potenter, sie haben auch mehr Kinder. Auch deshalb fürchten die Weißen, dass
sie in Staat und Gesellschaft dominieren könnten, und diese Angst spiegelt sich
auch in Hawks‘ Film: Dr. Carrington hat in seinem Labor den Samen von der abgerissenen
Hand des Monsters in Erde gesät und mit Blut gedüngt. Die zahlreichen Pflanzen,
die daraus wachsen und in denen der Nachwuchs des Alien zu einer Armee von
Monstern heranreift, die die Welt beherrschen will, veranschaulichen die
überlegene Vermehrungsfähigkeit des Alien – die Weißen, deren Geburtenziffern
1951, als der Film entstand, bereits beunruhigend stagnierten, haben also Grund
zur Sorge. Und nicht nur Schwarze bereiteten den weißen US-Amerikanern Sorge
vor Überfremdung; auch der Kinderreichtum chinesischer und japanischer
Einwanderer – Stichwort: „yellow peril“!
– erzeugte Angst, im Geburtenkrieg besiegt zu werden. So klagt der
US-amerikanische Rassist Lothrop Stoddard schon 1920 in seinem Buch The Rising Tide of Color against White
World-Supremacy über fruchtbare japanische Importbräute:
The California Japanese settle in compact agricultural
colonies, which so teem with babies that a leading California organ, the Los
Angeles Times, thus seriously
discusses the matter:
‘There may be a time when an anti-Japanese land bill would have limited
Japanese immigration. But such law would be important now to keep native
Japanese from possessing themselves of the choicest agricultural and
horticultural land in California. For these are now more than 30,000 children
in the State of Japanese parentage, native-born; they possess all the rights of
leasing and ownership held by white children born here … The birth statistics
seem to prove that the danger is not from the Japanese soldiers, but from the picture brides. The fruitfulness of
those brides is almost uncanny… We are threatened with an over-production of
Japanese children. First come the men, then the picture brides, then the
families. If California is to be preserved for the next generation as a
<white man’s country> there must be some movement started that will
restrict the Japanese birth-rate in California. (S. 288)
Das Zitat zeigt auch, dass zur Angst vor Überfremdung oft die
Angst gehört, dass Migranten Grund und Boden in Besitz nehmen, dass es zu einer
Art von „Landnahme“ im buchstäblichen Sinn kommt. Das spiegelt sich in Stokers
Roman in dem Umstand, dass Dracula im Osten Londons, in Purfleet, ein Anwesen
kauft, ein stattliches Haus auf einem ausgedehnten Grundstück. Die hohe Mauer,
die es einschließt, verleiht ihm einen festungsartigen Charakter – es soll
Dracula als Stützpunkt dienen, als Basis, von der aus er England kolonisieren
will. Solch ein irischer Einwanderer, der Grundbesitz erwirbt, erzeugte bei den
Engländern noch mehr Angst und Unbehagen als seine vielen mittellosen
Landsleute, die in elenden Mietskasernen, die
ihnen nicht gehörten, vorwiegend im Londoner East End hausen mussten und
durch horrende Mieten geschröpft wurden. Ein weiteres Haus, das Graf Dracula in
London erwirbt, wird von dem Makler, der den Kauf vermittelte, als „mansion“
charakterisiert, als Herrensitz. Dass Migranten sich von ausgebeuteten Proletariern in Grundbesitzer
und Immobilieneigentümer verwandeln, ist für viele Einheimische eine Horrorvorstellung.
Die Vorstellung, dass Heimatland, das die Menschen wie eine Mutter trägt und
nährt, durch Kauf in den Besitz von Einwanderern aus einem fremden Kulturkreis
gerät, so dass sie Wurzeln schlagen und ihr Status gefestigter und mächtiger
wird, bereitet nicht nur rechtsextremen Rassisten wie Lothrop Stoddard
Unbehagen, sondern auch Linken wie zum Beispiel dem Deutschen Ralph Giordano,
der als Jude von den Nazis verfolgt wurde und sein ganzes Leben gegen Rassismus
kämpfte. Im Bau der stattlichen DITIB-Moschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld sah
er „eine Landnahme auf fremden
Territorium“ und „Kriegserklärung“;
überhaupt alarmierten ihn solche Großmoscheen, die „wie Pilze aus deutschem Boden schießen“. Die Kölner Moschee war für
ihn ein Stützpunkt, von dem aus der türkische Staatschef Erdogan, dem die DITIB
untersteht, Einfluss auf Deutschland gewinnt, ein Prunkbau, der den
Machtanspruch einer von Frauenunterdrückung und Antisemitismus geprägten
patriarchalischen Parallelgesellschaft verkörpert. Unbehagen erzeugten bei
vielen Deutschen auch die Minarette der Großmoschee, die als Phallussymbole
steil in die Höhe streben und an Potenz und Kinderreichtum der islamischen
Einwanderer erinnern – in der Schweiz hat eine Volksabstimmung durchgesetzt,
dass der Bau von Minaretten verboten ist, was sich mit Freud als symbolische
Kastration deuten lässt.
In Hawks’Film spiegelt sich diese Furcht vor Landnahme durch kinderreiche Einwanderer
aus der Dritten Welt in der “Besiedlung” des Erdbodens in Treibhaus und Labor
durch die Sprösslinge des sexuell potenten Alien.
Deutlich wird das auch am Schluss des Films, als der Alien
vernichtet ist und die Besatzung der Polarstation aufatmen darf. Der
militärische Vorgesetzte der Soldaten, Captain Hendry, ist in Dr. Carringtons
Sekretärin Nikki verliebt, seine Liebe wird von der attraktiven jungen Frau
erwidert und sie möchte ihn gerne heiraten, wovon er nicht restlos begeistert
ist, da er an seiner Unabhängigkeit als Junggeselle hängt; sein inneres
Widerstreben gegen die Heirat und Familiengründung, die alle von ihm erwarten,
ist ihm deutlich anzumerken. In Anspielung auf diese sich anbahnende Ehe äußern
zwei seiner Soldaten im Scherz:
He’s had two things on his mind.
We’ve only had one.
Our worries are over, while our captain…
Darauf folgen Anspielungen auf Captain Hendrys bevorstehendes
Eheleben, das ihm finanzielle Opfer abverlangen wird, die aber durch den Bezug
von Kindergeld erträglich würden – angespielt wird also auf Kindersegen. In den
Bemerkungen der beiden Soldaten, die witzig sein wollen, frappiert, dass die
beiden Sorgen des Captains, die Sorge wegen des Monsters, die erfolgreich aus
der Welt geschafft ist, und die wegen der bevorstehenden Familiengründung, die
jetzt erst anfängt, in einem Atemzug genannt werden – als sei Nikki für den
Captain eine ebenso große Bewährungsprobe wie das Monster. Ob das wirklich so
sein wird, lässt der Film offen, aber diese beiden Herausforderungen des
Captains, durch das Monster, das amerikanische Erde schwängert, und durch
Nikki, die Kindersegen von ihm erwartet, hängen zusammen: Der Alien, der
beeindruckend fruchtbar und eine imposante Zahl von Nachkommen zu zeugen
imstande ist, ist als Feind und Konkurrent ausgeschaltet und das Feld von ihm
und seiner Saat befreit, so dass es von weißen amerikanischen Männern wie
Captain Hendry bestellt werden kann.
Möge er sich als tüchtiger Ackermann erweisen!
In einer ähnlichen Situation wie Captain Hendry, dem die Bewährung als Mann im
Eheleben bevorsteht, befindet sich Jonathan Harker, einer der Vampirjäger in
Stokers Roman. Auf ihn, der sich zu Beginn der Handlung auf Draculas Schloss
aufhält, wartet zu Hause in England seine Verlobte Mina, mit der die
Eheschließung ansteht. Und zur Bewährung als Familiengründer kommt die
Bewährung im Beruf hinzu. Denn sein schwerkranker Chef Hawkins, dessen
Ausscheiden aus dem Berufsleben aus Altersgründen abzusehen ist, hat ihn als
seinen Nachfolger vorgesehen. Er soll ihn als Leiter der angesehenen
Anwaltskanzlei ablösen. Angesichts dieser doppelten Herausforderung macht
Jonathan als Mann eine ausgesprochen schwache Figur. So zögert er seine
Rückkehr von Transsilvanien nach England, wo er seinen Mann stehen soll,
hinaus, und bleibt auf halbem Weg in Budapest hängen, wo ein nervöser
Zusammenbruch ihn für lange ans Bett eines Krankenhauses fesselt. Seinem Chef
schreibt er, dass er erst in einigen Wochen zurückkehrt, weil er an seinen
Krankenhausaufenthalt einen
Erholungsaufenthalt in einem Sanatorium in den ungarischen Bergen dranhängen
will, woraus aber nichts wird, weil seine energische Verlobte Mina sich nach
Budapest aufmacht (dass eine Frau solch eine Reise allein unternimmt, war
damals nicht selbstverständlich) und ihn heim nach England holt, da er sich aus
eigener Energie nicht dazu aufraffen kann.
Zu Hause in England stirbt bald sein Chef, Jonathan wird sein Nachfolger und
fühlt sich überfordert; Mina schreibt in ihr Tagebuch:
Jonathan is greatly distressed. It is not only that he
feels sorrow, deep sorrow, for the dear, good man who has befriended him all
his life, and now at the end has treated him like his own son and left him a
fortune which to people of our modest bringing up is wealth beyond the dream of
avarice, but Jonathan feels it on another account. He says the amount of
responsibility which it puts upon him makes him nervous. He begins to doubt
himself.
… and now, married to Jonathan, Jonathan a
solicitor, a partner rich, master of his business, Mr. Hawkins dead and buried,
and Jonathan with another attack that may harm him …
Diese Attitüde, Bewährungsproben aus Feigheit vor sich
herzuschieben, statt sie energisch anzugehen, gilt offenbar auch für Jonathans
Sexualität. Erst ganz am Schluss der Romans, sieben Jahre nach der Jagd auf
Dracula, teilt er mit, dass er Vater geworden ist:
Seven years ago we all went through the flames; and
the happiness of some of us since then, we think, well worth the pain we
endured. It is an added joy to Mina and to me that our boy’s birthday is the
same day as that on which Quincey Morris died. His mother holds, I know, the
secret belief that some of our brave friend’s spirit has passed into him. His
bundle of names links all our little band of men together; but we call him
Quincey.
Aus dieser Schlussnotiz lässt sich folgern, dass Harkers Sohn
frühestens ein Jahr nach Morris‘ Tod geboren wurde. Auch damit lässt er sich
also Zeit, auch in diesem ist er Punkt das Gegenteil des männlichen
Draufgängers Dracula, so dass Stephen Arata seine späte Vaterschaft ironisch
kommentiert:
The vampire’s vigor is in turn closely connected with
its virility, its ability to produce endless numbers of offspring. … In marked
contrast, the nonvampires in the novel seem unable to reproduce themselves.
Fathers in particular are in short supply … Thus … the arrival of little
Quincey Harker at the story’s close signals the final thriumph over Dracula,
since the Harker’s ability to secure an heir – an heir whose racial credentials
are seemingly impeccable – is the surest indication that the vampire’s threat
has been mastered. Even this triumph is precarious, however. Harker proudly
notes that his son is named after each of the men in the novel, making them all
figurative fathers, yet Quincey’s multiple parentage only underscores the
original problem. How secure is any racial line when five fathers are needed to
produce one son? (S. 631f.)
Die Zeugung des Sohns gelingt ihm also erst, nachdem sein sexueller
Konkurrent Dracula besiegt ist, was er nicht allein schafft, sondern die Hilfe
von fünf anderen Männern braucht.
Dass der Alien in Hawks‘ Film weiße Männer schlachtet und mit
ihrem Blut seine Nachkommenschaft düngt, ist nicht nur Ausdruck der Furcht der
Weißen vor der größeren Kinderzahl der Menschen aus der Dritten Welt, sondern
auch von Schuldgefühlen. Auch das lässt sich durch Vergleich des Films mit
Stokers Roman beweisen. Dracula sagt zu Mina, die er attackiert hat, damit sie
seinesgleichen, ein Vampir wird:
And
you, their best beloved one, are now to me, flesh of my flesh, blood of my
blood, kin of my kin, my bountiful wine-press for a while, and shall be later
on my companion and my helper.
Mina soll Draculas Kelter werden. Was bedeutet das? Es
handelt sich um eine biblical allusion, eine Anspielung auf Jesaja 63,1-6, wo Gott das Volk der
Edomiter heimsucht, um sie für ihre Sünden zu bestrafen:
Wer
ist der, der von Edom kommt, mit rötlichen Kleidern von Bozra, der so
geschmückt ist in seinen Kleidern und einherschreitet in seiner großen
Kraft? »Ich bin's, der in Gerechtigkeit redet, und bin mächtig zu
helfen.«
Warum ist denn dein Gewand so rotfarben, sind deine Kleider wie die eines Keltertreters?
»Ich
trat die Kelter allein, und niemand unter den Völkern war mit mir. Ich
habe sie gekeltert in meinem Zorn und zertreten in meinem Grimm. Da ist
ihr Blut auf meine Kleider gespritzt, und ich habe mein ganzes Gewand
besudelt.
Denn ich hatte einen Tag der Rache mir vorgenommen; das Jahr, die Meinen zu erlösen, war gekommen.
Und
ich sah mich um, aber da war kein Helfer, und ich war bestürzt, dass
niemand mir beistand. Da musste mein Arm mir helfen, und mein Zorn stand
mir bei.
Und
ich habe die Völker zertreten in meinem Zorn und habe sie trunken
gemacht in meinem Grimm und ihr Blut auf die Erde geschüttet.«
Gott zertritt diese sündigen Menschen wie Weintrauben in der
Kelter, so dass ihr Blut seine Kleider bespritzt und auf die Erde geschüttet
wird. Mina soll also zum Vampir werden und an Draculas Seite die Engländer
heimsuchen wie Gott die Edomiter heimsucht, indem sie ihr Blut saugt, um sie
für ihre imperialistischen Untaten zu bestrafen. Da Blutsaugen für Ausbeutung,
auch sexuelle Ausbeutung steht, handelt es sich bei Draculas Angriffe auf die
Engländer um reverse colonization. Auf Jesaja
63,1-6 wird auch in einem in einem anderen englischen Invasionsroman
angespielt, in Wells‘ Krieg der Welten.
Dieser Science-fiction-Roman schildert ebenfalls eine Invasion Englands, zwar
nicht durch Vampire, aber durch Marsmenschen, die England kolonisieren und sich
ebenfalls vom Blut der Engländer ernähren, was einen Geistlichen an die Kelter
Gottes denken lässt:
"It is just, O God!" he would say, over and
over again. "It is just. On me and mine be the punishment laid. We have
sinned, we have fallen short. There was poverty, sorrow; the poor were trodden
in the dust, and I held my peace. I preached acceptable folly—my God, what
folly!—when I should have stood up, though I died for it, and called upon them
to repent—repent!… Oppressors of the poor and needy!… The wine-press of
God!"
Mit den Armen und Elenden, die ausgebeutet werden, sind in
diesem Roman nicht (oder nicht nur) im marxistischen Sinn die englischen
Industriearbeiter gemeint, sondern die Natur, also Tier- und Pflanzenwelt, wie
auch naturnah lebende Eingeborene der Dritten Welt, die von den britischen
Imperialisten kolonisiert, ausgebeutet, korrumpiert und sogar teils ausgerottet
wurden – das sagt H. G. Wells ganz eindeutig im Roman:
And before we judge of them too harshly we must
remember what ruthless and utter destruction our own species has wrought, not
only upon animals, such as the vanished bison and the dodo, but upon its own
inferior races. The Tasmanians, in spite of their human likeness, were entirely
swept out of existence in a war of extermination waged by European immigrants,
in the space of fifty years. Are we such apostles of mercy as to complain if
the Martians warred in the same spirit?
Es geschieht den imperialistischen Engländern also recht,
wenn sie wie die Edomiter heimgesucht werden und für ihre Sünden bluten müssen
– das ist die Moral des Romans, die H. G. Wells auch deutlich äußert, als er
schildert, wie die Invasoren das Blut ihrer Opfer in sich aufnehmen:
They did
not eat, much less digest. Instead, they took the fresh, living blood of other
creatures, and injected it into their own veins. I have myself seen this
being done, as I shall mention in its place. But, squeamish as I may seem, I
cannot bring myself to describe what I could not endure even to continue
watching. Let it suffice to say, blood obtained from a still living animal, in
most cases from a human being, was run directly by means of a little pipette into
the recipient canal.…
The bare
idea of this is no doubt horribly repulsive to us, but at the same time I think
that we should remember how repulsive our carnivorous habits would seem to an
intelligent rabbit.
Der Spieß wird umgedreht: Die Aliens ernähren sich von den
Menschen wie diese von den Kaninchen. Und das gilt auch für das Monster im Ding aus einer anderen Welt. Er ist eine
Pflanze, die sich von den Menschen nährt wie diese von den Pflanzen; Dr.
Carrington bringt es auf den Punkt:
He has the same attitude toward us as we have toward a
field of cabbages.
Was vom weißen Mann ausgebeutet und korrumpiert wird, Natur
und Dritte Welt, schlägt zurück. Wells versetzt seine Landsleute in die Lage
von Kaninchen, die geschlachtet und gegessen werden, und Hawks die
Polarforscher in die Lage von Gemüse, das konsumiert wird – beide veranlasst
dazu das Schuldgefühl des westlichen Menschen (16). Der Mensch des Westens hasst
sich selbst, weil er nicht mehr im Einklang mit der Natur lebt wie Indianer,
alte Germanen oder arme mittelalterliche Bauern, und dadurch konsumsüchtig und
verweichlicht geworden ist. Dies ist seine Ursünde, in der er seit vielen,
vielen Generationen lebt, sein Urverbrechen, das er auch noch wiederholt und
ausweitet, wenn er unzivilisierte oder weniger zivilisierte Völker kolonisiert,
also unterwirft, ausbeutet, sie ihrer naturnahen Lebensweise entfremdet,
korrumpiert oder gar ausrottet. Daher dieses Schuldgefühl gegenüber der Natur,
Pflanzen und Tieren, und gegenüber weniger zivilisierten Menschen aus der
Dritten Welt, auf deren Kosten er dekadent geworden ist (17).
Im Ding aus einer anderen Welt
richtet sich der imperialistische Erobererdrang des weißen Mannes gegen den
Nordpol, gegen eine der wenigen Regionen von Mutter Erde, die noch nicht kolonisiert
wurde, weil sie durch ihre Unwirtlichkeit, ihre arktische Kälte unzugänglich
und abweisend, ein letztes unerforschtes und unberührtes Stück Natur geblieben ist, in das die Amerikaner trotzdem vorstoßen. Auch durch Züchten von Gemüse
und Erdbeeren am Nordpol überschreiten die US-Amerikaner eine Grenze, die ihnen
die Natur setzt; sie zwingen Mutter Erde auf unnatürliche Weise Früchte ab, wo
sie unfruchtbar und jungfräulich bleiben will – verwandt ist das mit dem
Verhalten der weißen Eroberer Nordamerikas, das der Indianer Sitting Bull als
Frevel verurteilt:
Sie beanspruchen unsere Mutter, die Erde, zu ihrem eigenen Nutzen und
zäunen ihre Mitmenschen von ihr ab. Sie verunstalten sie mit ihren
Gebäuden und ihrem Abfall. Sie zwingen sie, zur Unzeit zu gebären und
wenn sie dadurch unfruchtbar geworden ist, geben sie ihr Medizin, damit
sie wieder gebärt. All das ist Frevel.
Und je zivilisierter, je dekadenter der westliche Mensch ist,
desto heftiger quälen ihn Gewissensbisse wegen seines Urverbrechens, desto mehr
fühlt er sich in der Schuld der Einwanderer aus weniger dekadenten Ländern. Bei
Stoker und Hawks wird dieses Schuldgefühl verdrängt und der Rächer verteufelt,
zum Monster gemacht. Aber Verdrängen und Dämonisieren ist falsch – besser wäre
es, sich das Schuldgefühl einzugestehen. Falsch ist es jedoch auch, ins andere
Extrem zu verfallen, wie es zum Beispiel in Rotherham geschah. Dort haben
englische Sozialarbeiter, Polizisten und andere Vertreter der Machtstruktur 16
Jahre lang Männer aus ehemaligen Kolonien bei der sexuellen Ausbeutung
blutjunger weißer Landeskinder gewähren lassen. Als unbewusstes Motiv lassen
sich auch hier Schuldgefühle und Strafbedürfnisse vermuten: Die sexuelle
Ausbeutung von Frauen und Kindern in den Kolonien durch die Kolonialherren, ja
überhaupt die Ausbeutung der Natur, von der sich der weiße Mann entfremdet hat
und dekadent geworden ist, sollte abgebüßt werden, die englischen Polizisten,
Sozialarbeiter und andere zumeist linke, aber mächtige Personen erleichterten
so ihr Gewissen – aber auf fremde Kosten, wieder auf ausbeuterische Weise, denn
nicht ihre eigenen Töchter, sondern Mädchen ihrer Unterschicht überließen sie
dem rächenden Moloch als Sühneopfer.
1) Stephen D. Arata: The
Occidental Tourist: “Dracula” and the Anxiety of Reverse Colonization. In:
Victorian Studies Vol. 33 No. 4 (Summer 1990)
2) Joseph Valente: Dracula’s
Crypt. Bram Stoker, Irishness, and the Question of Blood. 2002, vor allem
S. 60ff.
3) Vgl. Arata, S. 623: “Dracula enacts the period’s most important and pervasive narrative
of decline, a narrative of reverse colonization. … In whatever guise, this narrative expresses
both fear and guilt. … As fantasies, these narratives provide an opportunity to
atone for imperial sins, since reverse colonization is often represented as deserved punishment.”
4) Die “Address”, gehalten 1872 am Trinity College, ist
abgedruckt in: Bram Stoker: A Glimpse of
America and other Lectures. Interviews and Essays. Edited and Introduced by R.
Dalby. Zitate von S. 45.
5) Valente S. 61
6)
Arata S. 629ff.
7) Vgl. Arata, S. 630: “Horror arises not because
Dracula destroys bodies, but because he appropriates and transforms them.”
8) Vgl. Fatimah Tobing Rony: The Third Eye. Race, Cinema, and Ethnographic Spectacle, S. 157-191
9) Rony, S.
186: “Completed in 1932, the Empire State Building was, at the time of the
film, the ultimate U.S. symbol of progress, technology, and Civilization. Like
the Eiffel Tower at the turn of the century, perceived as embodying French
greatness…”
10) Dieterich, S. 46
11) 31ff. - Übersetzung: Wilhelm Willige
12) Übersetzung: Otto Gildemeister
13) Sure 2, Vers 223 - Übersetzung: Max Henning
14)
Stephen Arata: The Occidental Tourist… ; S. 631
15)
Kathleen Spencer: Purity
and Danger: Dracula, the Urban Gothic, and the Late Victorian Degeneracy Crisis.
In: ELH Vol. 59, No. 1 (Spring 1992), S. 211
16) Auch in seinem dystopischen Roman Die Zeitmaschine dreht H. G. Wells den
Spieß um. In ferner Zukunft werden die Eloi, Nachkommen der britischen
Bourgeoisie, die durch Beherrschung und Ausbeutung der Natur und der
Arbeiterklasse in Wohlstand lebten und dadurch verweichlicht, schwächlich und
faul, mit einem Wort, dekadent geworden sind, von den Nachkommen dieser
Arbeiter, den Morlocks, wie Mastvieh auf der Weide gehalten, geschlachtet und
verzehrt. Die Morlocks leben also von den Eloi, während es früher umgekehrt
war. Diese Umkehrung bezeichnet der Zeitreisende, der als Ich-Erzähler
fungiert, ausdrücklich als Werk der Nemesis, der Göttin des gerechten Zorns,
der ausgleichenden Gerechtigkeit. Dass die dekadent gewordenen Ausbeuter den
Morlocks als Nahrung dienen, geschieht ihnen also recht!
Da die Eloi materiell abgesichert sind, können sie sorglos in den Tag hinein
leben und müssen nicht erwachsen werden, was sie auch nicht tun; sie bleiben
infantil, keine Lebensnot zwingt sie, charakterlich zu reifen – in der
Schilderung dieser Zustände durch den Zeitreisenden zeigt H. G. Wells wie in
einem Vergrößerungsglas die beginnende Dekadenz der britischen Oberschicht; in
seinen Worten spürt man aufkeimende Verachtung, die, da der Zeitreisende wie
sein Schöpfer H. G. Wells selbst zu dieser Bourgeoisie gehört, zugleich
Selbstverachtung ist:
“Ich versuchte mich sogar … in einer höhnischen Verachtung
für diese klägliche Aristokratie im Verfall. Aber diese Haltung war unmöglich.
Wie groß ihr intellektueller Abstieg auch sein mochte, die Eloi hatten doch zu
viel von ihrer menschlichen Gestalt bewahrt, um keinen Anspruch auf ihr
Mitgefühl zu haben. Ich wurde ganz unweigerlich zum Teilhaber ihrer Schande
(degradation) und ihrer Angst.“
(Übersetzung: Lutz-W. Wolff)
17)
Oder gegenüber der eigenen Arbeiterklasse in H. G. Wells‘ Zeitmaschine, wo die Ausgebeuteten zu
einem widernatürlichen Leben unter der Erde gezwungen wurden – vgl. auch
Fußnote 16. Dieses Schuldgefühl fließt nicht nur aus der Ausbeutung der
Arbeiterklasse, sondern auch aus der Unterwerfung der Natur, die unter anderem
durch Ausrottung von Unkraut (weed) und Mücken (gnats), zu denen ja auch
blutsaugende Arten gehören, gefügig gemacht, gleichsam kastriert wurde; im Krieg der Welten kehren die
ausgerotteten blutsaugenden Mücken in Gestalt der bluttrinkenden Marsianer und
das ausgerottete Unkraut als „red weed“ im Gefolge der Invasoren triumphierend
zurück (in Spielbergs Verfilmung ist es rot, weil es mit dem Blut der Menschen
gedüngt wird).