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WASSER ALS SYMBOL FÜR MUTTER UND KINDHEIT

Russische Version


In Märchen, Mythen und Kunstwerken steht ein Fluss, See oder Meer als mütterliches Element oft für die Kindheit. Unser erstes Beispiel ist ein Gedicht des russischen Dichters Sergej Jessenin:

Russisches Original

Mit Kamillenblüten aus dem Wald bekränzt
Hobelte ich, Boote ausbessernd
Und ließ Liebchens Ring
In eine strömende, schäumende Welle fallen.

Üble Trennung! Wie das Werk
Einer tückischen Schwiegermutter!
Den Ring hat ein Hecht fortgetragen,
Und mit ihm Liebchens Liebe.

Mein Ring fand sich nicht wieder,
Aus Gram ging ich auf die Wiese -
Der Fluss lachte mir hinterher:
„Dein Liebchen hat einen Neuen!“

Ich werde nicht zum Reigen gehen:
Dort lacht man über mich,
Vermählen werde ich mich im Unwetter
Mit der Welle, die dazu das Hochzeitsgeläut rauscht.

Ein Jüngling bessert am Ufer eines Flusses Boote aus – was bedeutet das? Stellen wir uns vor, dass er mit einem dieser Boote den Fluss überqueren will, so haben wir ein uraltes archetypisches Symbol: Das andere Ufer, an das der Jüngling gelangen will, steht für einen neuen Lebensabschnitt. Das Ufer, an dem er sich befindet, symbolisiert einen Lebensabschnitt, den er beenden soll. Den Fluss zu überqueren ist riskant, er könnte dabei sinken – um dieser Gefahr vorzubeugen, flickt er die Boote. Denn zu solch einem Aufbruch gehören Mut und Selbstüberwindung: Ein Kind kommt in die Schule. Ein Student macht endlich sein Examen, um ins Berufsleben einzutreten. Ein Bauernmädchen hat zu Esenins Zeiten seinen ersten Sexualverkehr, um zur Frau und Mutter zu werden. Beginnen soll ein neuer Lebensabschnitt, zu dem eine andere, weniger infantile Lebenseinstellung gehört. Das kann daneben gehen, wenn man dabei den Mut verliert und einen Rückzieher macht. Solch ein Fluss, dessen Überwindung Aufbruch zu neuen Ufern des Lebens bedeutet und deshalb als gefährliches Wagnis erscheint, kommt auch im Traum einer Patientin von C. G. Jung vor:

Sie ist im Begriff, einen breiten Bach zu überschreiten. Es ist keine Brücke da. Sie findet aber eine Stelle, wo sie ihn überschreiten kann. Wie sie eben im Begriffe ist, es zu tun, fasst sie ein großer Krebs, der im Wasser verborgen lag, am Fuß und lässt sie nicht mehr los. Sie erwacht mit Angst.  (1)

C.G.Jung deutet den Traum folgendermaßen:

Der Traum zeigt nämlich der Patientin, dass sie selber etwas in sich hat, das sie am Überschreiten der Grenze, nämlich am Hinübergelangen aus der einen Lage oder Einstellung in die andere hindert.                                (2)

Auch der Jüngling in Esenins Gedicht hat etwas in sich, was ihn am Überschreiten der Grenze  hindern könnte. Kranz und Verlobungsring sind Symbole für Vermählung. Das lyrische Ich will heiraten und hat wie viele Männer nicht nur Lust dazu, sondern auch Angst davor. Denn Heirat bedeutet Aufgeben des unbeschwerten Junggesellendaseins und Eintritt ins Eheleben, in dem er sich als Mann bewähren und Verantwortung für Frau und Kinder übernehmen muss. Diese Schwelle zu überschreiten ist gefährlich, denn seine Angst könnte bewirken, dass er dabei versagt – deshalb das vorsorgliche Flicken der Boote, um nicht unterzugehen.
Die latente Abneigung des lyrischen Ichs, sich ehelich zu binden, ist auch Ursache für den Verlust des Rings – Freud nennt so etwas Fehlleistung und führt in seiner Psychopathologie des Alltagslebens mehrere Beispiele an, darunter das eines Mannes, dessen Abneigung gegen die geplante Heirat mit einer bestimmten Frau verdrängt war und aus dem Unterbewusstsein heraus wirkte, indem sie ihn den Verlobungsring verlieren ließ:

Er hatte von einem von ihm geliebten Mädchen einen Ring zum Geschenk erhalten, mit dem Bemerken, er dürfe ihn nicht verlieren, sonst wisse sie, dass er sie nicht mehr lieb habe. Er entfaltete in der Folgezeit eine erhöhte Besorgnis, er könnte den Ring verlieren. Hatte er ihn zeitweilig, z.B. beim Waschen abgelegt, so war er regelmäßig verlegt, so dass es oft langen Suchens bedurfte, um ihn wieder zu erlangen. Wenn er einen Brief in den Postkasten warf, konnte er die leise Angst nicht unterdrücken, der Ring könnte von den Rändern des Briefkastens abgezogen werden. Einmal hantierte er wirklich so ungeschickt, dass der Ring in den Kasten fiel. Den Brief, den er bei dieser Gelegenheit absandte, war ein Abschiedsschreiben an eine frühere Geliebte von ihm gewesen, und er fühlte sich ihr gegenüber schuldig. Gleichzeitig erwachte in ihm Sehnsucht nach dieser Frau, welche mit seiner Neigung zu seinem jetzigen Liebesobjekt in Konflikt kam.                              (3)

Auch im Leben des Jünglings in Esenins Gedicht existiert eine andere Frau, an der er hängt und von der er sich nicht lösen will: Es ist seine Mutter – das verrät die Symbolik des Wassers, in das sich das lyrische Ich in der letzten Strophe zurückziehen will, statt es erfolgreich zu überqueren. „Die mütterliche Bedeutung des Wassers gehört zu den klarsten Symboldeutungen im Gebiete der Mythologie, wie die Alten sagten: ἡ θάλασσα - τῆς γενέσεως σύμβολον  (das Meer – das Symbol des Entstehens). Aus dem Wasser kommt das Leben“ (4). Dass das Leben aus dem Wasser kommt, gilt auch für jeden einzelnen Menschen: Als Embryo lebt er nämlich im Wasser, im Fruchtwasser des Uterus, das er bei seiner Geburt verlassen muss. Wasser symbolisiert deshalb oft die Liebe des Kindes zur Mutter und der Mutter zum Kind, zum Beispiel in dem von Freud angeführten Traum einer jungen Frau:

Einen weiteren Geburtstraum erzählt Abraham von einer jungen, ihrer ersten Entbindung entgegengehenden Frau. Von einer Stelle des Fußbodens im Zimmer führt ein unterirdischer Kanal direkt ins Wasser (Geburtsweg - Fruchtwasser). Sie hebt eine Klappe im Fußboden auf und sogleich erscheint ein in einen bräunlichen Pelz gekleidetes Geschöpf, das beinahe einem Seehund gleicht. Dieses Wesen entpuppt sich als der jüngere Bruder der Träumerin, zu dem sie von jeher in einem mütterlichen Verhältnisse gestanden hatte.                                                               (4a)

Das Wasser, von dem die Frau träumt, steht für ihre mütterliche Liebe, in der ihr jüngerer Bruder geborgen lebt wie ein Seehund in seinem Element, dem Meer. Auch der Jüngling in Esenins Gedicht will lieber im mütterlichen Wasser leben, deshalb geht sein Verlobungsring an einen Fisch über, an ein Geschöpf, das im Wasser lebt, denn mit dem mütterlichen Element, nicht mit dem Mädchen, will der Jüngling den Lebensbund schließen – „povencajus‘ .. s … volnoj / mit der Welle werde ich mich vermählen“, erklärt er als sein Ziel. Aus Angst, seiner Rolle als Mann und Familienvater nicht gewachsen zu sein, sehnt er sich nach Regression in die Kindheit, für die das Wasser steht, in dem er als Hecht leben will, vermählt mit seiner Mutter. Den Ringverlust, der die Trennung besiegelt, empfindet das lyrische Ich als Machenschaft einer „tückischen Schwiegermutter“ (5)  – eigentlich ist das ungerecht, denn es ist die Angst des Muttersöhnchens vor der Ehe, die ihn den Ring verlieren lässt, und keine Machenschaft seiner Mutter, die er gleichwohl zum Sündenbock macht. Vielleicht kann man es so erklären: Gesprochen wird im Gedicht  von einer „tückischen“ Schwiegermutter, wie man von einer „tückischen Krankheit“ spricht, die als Einwirkung eines fremden bösen Willens empfunden wird, obwohl sie doch aus dem eigenen Körper oder, wenn psychogen, aus der eigenen Seele kommt. Auch die Freudschen Fehlleistungen, von denen wir als Beispiel einen Ringverlust anführten, wirken in der Regel aus dem Unterbewusstsein heraus, so dass sie von dem Betroffenen als Einwirkung von etwas Fremden, oft als „Tücke des Objekts“ empfunden werden.

Verwandt mit der „tückischen“ Mutter, der das lyrische Ich in Esenins Gedicht die Schuld an seiner Regression gibt, ist in Grimms Märchen Der Froschkönig die „böse Hexe“, die den Prinzen verzaubert hat, so dass er sich in einen Frosch verwandelt hat und in einem Brunnen im Wald lebt. Diese „Hexe“ ist die Mutter, auf die der Sohn fixiert und deshalb zu ein Frosch geworden ist, zu einem Tier also, das wie der Fisch in Esenins Gedicht und der Seehund im Traum der jungen Frau im Wasser zu Hause ist. Dank der Liebe zur Königstochter besiegt er aber seine Mutterfixiertheit, verlässt das Wasser und wird (wieder) zum Menschen – in Esenins Gedicht ist es umgekehrt.

Wie in Esenins Gedicht ergeht es auch der liederlichen Adelheid in Wilhelm Buschs Bildergeschichte Die beiden Schwestern (die vom Froschkönig inspiriert wurde), wobei der Hauptschauplatz ebenfalls das Ufer eines Gewässers ist. Aber zuerst zu Adelheids braver und lieber Schwester Kätchen! Sie küsst einen Frosch und erlöst ihn dadurch aus seiner Mutterfixiertheit, so dass er sich in einen schönen jungen Prinzen verwandelt, wobei der Kuss als intime Berührung eine Schwellenhandlung ist, ähnlich dem ersten Sexualakt, der früher oft die Kindheit beendete. Ihre Schwester Adelheid lässt sich von einem Jüngling verführen, der am Ufer sitzt und sie mit Musik bezirzt.  Als sie ihn küsst, verwandelt er sich zurück in das froschähnliche Wasserwesen, das er eigentlich ist, und zieht sie mit sich hinunter in sein Element. Bedeutet Regression in das kindliche Stadium für einen Mann Rückfall in die infantile Mutterbindung, so für ein Mädchen Rückkehr zur Fixierung an den Vater – denn nach Freud ist ein Kind auf seinen gegengeschlechtlichen Elternteil fixiert – der alte hässliche „Wasserneck“, den sie im Wasser kraulen muss, ist also ihr Vater, dem sie sich regressiv-inzestuös wiederverbunden hat.
Solch ein Monster, das ein Mädchen zu sich ins Wasser, in dem es lebt, entführt (oder entführen will), verkörpert also den verdrängten Wunsch dieses Mädchens nach Rückkehr in die Kindheit und zum Vater. Die verpönte und ins Unterbewusstsein verbannte, aber immer noch gefährlich starke regressive Vatersehnsucht erscheint dämonisiert in Gestalt eines furchteinflößenden und abstoßenden Ungeheuers.

Das gilt auch für Portia in Shakespeares Kaufmann von Venedig. Sie befindet sich im heiratsfähigen Alter und empfängt Männer, die um sie freien. Ihr verstorbener Vater hat testamentarisch als Bedingung festgesetzt, dass nur derjenige sie heiraten darf, der aus drei Kästchen das richtige wählt; in diesem hat er ein Bild seiner Tochter eingeschlossen. Die Kästchen sind aus Gold, Silber und Blei. Wer die Kästchen aus den kostbaren Edelmetallen Gold und Silber wählt, verrät damit seinen besitzfixierten Charakter und disqualifiziert sich. Bassanio, den Portia liebt, wählt das Kästchen aus Blei, findet ihr Bild darin und gewinnt ihre Hand. Als Bassanio sich zur Kästchenwahl anschickt, sagt Portia zu ihm:

        I am lock’d in one of them, -
If you do love me, you will find me out

Damit meint sie vordergründig, dass sich ihr Bild in einem der Kästchen befindet; der Hintersinn aber ist: Sie ist gleichsam eingesperrt, eine Gefangene, weil sie immer noch mit ihren Gefühlen an ihrem toten Vater hängt. Bassanio soll sie aus ihrer Vaterfixierung befreien, ihr beim Überschreiten der Schwelle ins Erwachsenenleben helfen. Deshalb vergleicht sie sich mit der trojanischen Königstochter Hesione, die ihr Vater Laomedon  an einen Felsen am Meer gekettet hat, um sie einem sea-monster zu opfern. Und Bassanio vergleicht sie mit Herkules, der in der antiken Sage das Seeungeheuer, das sich die Königstochter holen will, tötet.

Ein Mädchen im heiratsfähigen Alter, das an seinen Vater – und sein Elternhaus – fixiert ist, gehört auch zu den Hauptfiguren in Nikolaj Gogols Erzählung Die Mainacht oder Die Ertrunkene. Nach dem Tod ihrer Mutter ist sie die wichtigste Frau im Leben ihres Vaters geworden. Doch als der Vater sich wiederverheiratet, wird ihr diese Stellung von der verhassten Stiefmutter streitig gemacht und sie muss das Elternhaus verlassen. Da stürzt sie sich in einen Teich, der nahe dem Elternhaus liegt und existiert als utoplenniza, als spukende Ertrunkene, als eine Art Nixe weiter, bleibt also dem Ort ihrer Kindheit verhaftet, statt mutig zu neuen Ufern des Lebens aufzubrechen. Erzählt wird es aus der Sicht der vaterfixierten Tochter, in der natürlich der Stiefmutter die Schuld gegeben wird: Sie ist als böse Hexe dargestellt. Gogol schildert den Teich, in dem sich der Sternenhimmel spiegelt, als mütterliches Element, als gespenstischen Ort der Kindheit und väterlichen Liebe:

„So leise wiegt sich das Wasser, wie ein Kind in der Wiege,“ fuhr Ganna fort, auf den Teich weisend, der von mürrischen dunklen Ahornbäumen umstanden war und von Weiden, die ihre trauernden Zweige in ihn versenkt hielten, beweint wurde. Wie ein kraftloser Greis hielt er den fernen dunklen Himmel in seinen Armen, überschüttete mit eisigen Küssen die feurigen Sterne …

Die Unterwasserwelt als Symbol für die Kindheit ist archetypisch, also oft anzutreffen. Ein anderes Beispiel ist Andersens Märchen Die kleine Seejungfrau. Die Heldin des Märchens lebt im Meer, sie hat einen Fischschwanz, ist also ein fischähnliches Wasserwesen, und verlässt wie alle Seejungfrauen ihr Element erst, wenn sie 15 ist, also in der Pubertät. Die Oberwasserwelt, Metapher für das Leben der Erwachsenen, in der sie sich in einen Mann verliebt und sich mit ihm verbindet, hält vorwiegend Leid und Enttäuschungen für sie bereit, während die Unterwasserwelt ihr Kindheitsparadies war:

Den ganzen Tag konnten sie unten im Schlosse in den großen Sälen, wo lebendige Blumen aus den Wänden hervorwuchsen, spielen. Die großen Bernsteinfenster wurden aufgemacht, und dann schwammen die Fische zu ihnen hinein, wie bei uns die Schwalben, wenn wir die Fenster aufmachen. Die Fische schwammen gerade zu den Prinzessinnen hinein, fraßen aus ihren Händen und ließen sich streicheln.

Diese regressive Sehnsucht hinab ins Wasser, wo man das Kindheitsparadies wiederfinden will und nur allzu oft den Tod findet, prägt auch Goethes Ballade Der Fischer:

Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
Ein Fischer saß daran,
Sah nach dem Angel ruhevoll,
Kühl bis ans Herz hinan.
Und wie er sitzt und wie er lauscht,
Teilt sich die Flut empor:
Aus dem bewegten Wasser rauscht
Ein feuchtes Weib hervor.

Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
»Was lockst du meine Brut
Mit Menschenwitz und Menschenlist
Hinauf in Todesglut?
Ach wüßtest du, wie's Fischlein ist
So wohlig auf dem Grund,
Du stiegst herunter, wie du bist,
Und würdest erst gesund.

Labt sich die liebe Sonne nicht,
Der Mond sich nicht im Meer?
Kehrt wellenatmend ihr Gesicht
Nicht doppelt schöner her?
Lockt dich der tiefe Himmel nicht,
Das feuchtverklärte Blau?
Lockt dich dein eigen Angesicht
Nicht her in ew'gen Tau?«

Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
Netzt' ihm den nackten Fuß;
Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll
Wie bei der Liebsten Gruß.
Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
Da war's um ihn geschehn;
Halb zog sie ihn, halb sank er hin
Und ward nicht mehr gesehn.

Mit Goethes Ballade Der Fischer hat Jessenins Gedicht gemein, dass sich ein Mann am Ufer eines Gewässers befindet, in das ihn seine Sehnsucht zieht, wobei ein Fisch eine Rolle spielt.
Bei Goethe will eine Nixe den erwachsenen Mann zur Existenz als Fisch verlocken, das heißt, zur Regression in den Mutterschoß, wo der Embryo im Fruchtwasser lebt:

Ach wüsstest du, wie’s Fischlein ist
So wohlig auf dem Grund,
Du stiegst herunter, wie du bist,
Und würdest erst gesund.

Bei Jessenin geht der Verlobungsring vom dem Jüngling in den Besitz eines Fisches über – Symbol dafür, dass dieser Jüngling solch ein Fisch werden, sich statt mit der Braut wieder mit seiner Mutter verbinden will, indem er in ihren Schoß, das Wasser, zurückkehrt.

Auch in Marina Zwetajewas autobiographischer Prosa Mutter und die Musik symbolisiert eine Unterwasserwelt die Kindheit. Thema ist, wie Marina als Kind hingebungsvoll auf dem Klavier üben musste, weil ihre ehrgeizige Mutter, die selber Konzertpianistin werden wollte, woraus nichts wurde, als Kompensation danach strebte, aus ihrer Tochter eine solche zu machen. Also spielte das Kind täglich stundenlang Klavier. Aus Gehorsam gegenüber der Mutter, aber auch aus anderen Motiven:
Nach dem von Sigmund Freud entdeckten Ödipus-Komplex begehrt das Kind seinen andersgeschlechtlichen Elternteil. Der Junge will mit seiner Mutter schlafen und den Vater als Konkurrenten ausstechen; beim Mädchen ist es umgekehrt. Zwetajewa hatte auch eine lesbische Ader, in ihr steckte als Teilpersönlichkeit ein Mann, den des zu Frauen zog, also begehrte sie unbewusst ihre Mutter als erotisches Objekt und empfand ihren Vater als Konkurrenten. Ein gutes Feld, um diese Rivalität um die Mutter auszutragen, war die Musik, denn ihr Vater war unmusikalisch, „er hat ein selten schlechtes Gehör“, was er auch von seiner Frau spöttisch oder „mit Leidensmiene“ gesagt bekam.
Für Mutter und Tochter ist das Klavier ein gemeinsames „Heiligtum“, dessen Reinheit der Vater besudelt, wenn er seine Zeitungen darauf legt:

Die Zeitungen nahm – fegte – die Mutter allmorgendlich vom Klavier, mit der hartnäckigen Ausdauer eines Märtyrers und ohne dem Vater, der sie stur und nichts ahnend dahin legte, das geringste zu sagen; und wer weiß, ob nicht der Gegensatz zwischen der vollkommenen Spiegelglätte und Schwärze des Klaviers und dem unordentlichen, unansehnlichen Zeitungshaufen, ob nicht die gleichzeitig weit ausholende und pedantische Ordnungsgeste der Mutter in mir die unerschütterliche, axiomatische Überzeugung entstehen ließ, Zeitungen seien Teufelsspuk…                                                 (6)

Das Klavierspiel versetzte Marina in eine emotionale Gemeinschaft mit ihrer Mutter, aus der ihr unmusikalischer Vater-Konkurrent und die ebenfalls unmusikalische Anastasija als Geschwister-Konkurrentin ausgeschlossen waren. Marina genoss ihre bevorzugte Stellung, in der sie jedoch so fest an ihre Mutter fixiert war, dass sie Gefahr lief, im Banne der Mutter gefangen zu bleiben, statt sich abzunabeln, aus der Kindheit herauszuwachsen und sich selbst zu verwirklichen – es war eine verwunschene, manchmal unheimliche Welt, in der das Kind lebte:

Das dritte und vielleicht längste Klavier ist jenes, unter dem man sitzt: das Klavier von unten, die Unterwasser-, die Unterklavierwelt. Submarin ist’s nicht nur wegen der Musik, die einem auf den Kopf herabströmt: zwischen unserm Klavier und den Fenstern … standen Blumen, Palmen, Philodendren, die das subklavierene Parkett in einen echten Wassergrund mit grünlichem Lichtschimmer (auf den Gesichtern und Fingern) und echten, berührbaren Wurzeln verwandelte, wo Mutters Füße und die Pedale sich wie Riesenungeheuer lautlos bewegten.             

In dieser Fantasie des Kindes, das unter dem Klavier sitzt, während die Mutter spielt, erscheint die „Unterklavierwelt“ als Unterwasserwelt, die Füße der Mutter und die Pedale als Seeungeheuer und die Zimmerpflanzen als Unterwasserpflanzen.
Der Archetypus der Unterwasserwelt als Kindheitssymbol liegt auch folgender Stelle zugrunde:

Die Mutter überschwemmte uns mit Musik … überflutete uns wie Hochwasser. Ihre Kinder waren, wie die Hütten der Armen am Ufer großer Flüsse, von vornherein dem Untergang geweiht. … Ich kann sagen, dass ich nicht ins Leben, sondern in die Musik hinein geboren wurde.“

Marina Zwetajewa sieht ihre von der Musik beherrschte Kindheit als Zwischenstadium zwischen dem Dasein vor und nach der Geburt. Das Leben im Mutterleib bezeichnet die Psychoanalyse als ursprünglichen Narzissmus, weil es von uneingeschränkter Geborgenheit geprägt ist; mit der Geburt tritt der Mensch dann hinaus ins Leben mit seinen Zumutungen, Gefahren und Kränkungen. Ein Teil der vorgeburtlichen Geborgenheit bleibt dem Kind jedoch durch das Umsorgtwerden durch die Eltern erhalten. Sie bewahren es in der Regel vor Konfrontationen mit der Wirklichkeit des Lebens, die es überfordern würden und für die es erst als Erwachsener stark und reif genug ist. Kindheit ist ein Zwischenstadium, das Reifung und Selbstwerdung ungebührlich hinausschieben kann, wenn es zu lange dauert oder das Kind zu sehr von den Eltern dominiert wird. Das meint Marina, wenn sie schreibt, Mutter habe sie nicht ins Leben, sondern in die Musik hineingeboren.

Esenin und Zwetajewa wurden in ihren hier verglichenen Werken beide vom Archetypus der Unterwasserwelt als Symbol für die Kindheit inspiriert. Doch während Marina aus der Kindheit herausstrebte, zieht es Esenins lyrisches Ich (und wohl auch den Dichter selbst, der früh durch Freitod aus dem Leben schied) in die ursprüngliche Geborgenheit zurück.

Unser letztes Beispiel sei Christian Friedrich Daniel Schubarts Gedicht Die Forelle, das Schubert vertont hat:

In einem Bächlein helle,
Da schoß in froher Eil
Die launische Forelle
Vorüber, wie ein Pfeil:
Ich stand an dem Gestade
Und sah in süsser Ruh
Des muntern FischleinsBade
Im klaren Bächlein zu.

Ein Fischer mit der Ruthe
Wol an dem Ufer stand,
Und sah’s mit kaltem Blute,
Wie sich das Fischlein wand.
So lang dem Wasser Helle,
So dacht’ ich, nicht gebricht,
So fängt er die Forelle
Mit seiner Angel nicht.

Doch endlich ward dem Diebe
Die Zeit zu lang; er macht
Das Bächlein tückisch trübe:
Und eh’ ich es gedacht,
So zuckte seine Ruthe;
Das Fischlein zappelt dran;
Und ich, mit regem Blute,
Sah die Betrogne an.

von Schubert nicht vertont:

Ihr, die ihr noch am Quelle
Der sichern Jugend weilt,
Denkt doch an die Forelle;
Seht ihr Gefahr, so eilt!
Meist fehlt ihr nur aus Mangel
Der Klugheit; Mädchen, seht
Verführer mit der Angel –
Sonst blutet ihr zu spät.

Das lyrische Ich warnt unberührte Mädchen davor, sich verführen zu lassen. Denn durch die Entjungferung werden sie, wie man früher sagte, „zur Frau gemacht“, das Erwachsenenleben mit seinen Mühen  und Kränkungen beginnt, die unbeschwerte, wohlbehütete Kindheit mit ihrer paradiesischen Unschuld und narzisstischen Geborgenheit, deren hoher Wert auch dem lyrischen Ich bewusst ist („goldnen Quelle / Der sichern Jugend“), wird beendet. Das unschuldige Mädchen, das sich nicht aus seinem Kindheitsparadies herauslocken lassen soll, wird mit einer Forelle verglichen, die nicht mehr in ihrem Element bleibt, wenn sie sich angeln lässt.

Gibt es eigentlich eine Erklärung dafür, warum das Kindheitsparadies in der archetypischen Vorstellungswelt durch Wasser symbolisiert wird und sein Bewohner, das Kind (oder ein zum Kind regredierter Erwachsener), durch einen Fisch oder Frosch? Wir versuchen es mit Erkenntnissen der Biologie, und zwar durch die BIOGENETISCHE GRUNDREGEL. Sie lautet:

Die ONTOGENESE REKAPITULIERT DIE PHYLOGENESE.

Die Regel besteht aus drei Fachbegriffen – was bedeuten sie?

Die ONTOGENESE ist die Entwicklung eines Einzelwesens, seine Individualentwicklung.
So lässt sich zur Ontogenese eines einzelnen Frosches sagen: Er ist erst eine Kaulquappe, die im Wasser lebt, und dann eine Amphibie, die im Wasser und an Land lebt.
Oder zur Ontogenese eines einzelnen Menschen: Er lebt vor der Geburt, als Embryo, im Wasser, nämlich im mütterlichen Fruchtwasser, bewegt sich nach seiner Geburt zunächst gar nicht fort, dann auf allen Vieren als Krabbelkind und erst später aufrecht auf zwei Beinen.

Die PHYLOGENESE ist die stammesgeschichtliche Entwicklung einer Spezies. Zur Phylogenese des Menschen ist – vereinfacht – zu sagen: Er stammt vom Affen ab und seine ältesten Vorfahren lebten im Wasser.

REKAPITULIEREN heißt wiederholen.

Die BIOGENETISCHE GRUNGREGEL besagt, dass Einzelwesen in ihrer Individualentwicklung Merkmale ihrer phylogenetischen Vorfahren wiederholen. So wachsen dem menschlichen Embryo im Mutterleib für eine bestimmte Zeitspanne ein Fell und ansatzweise Kiemen, was die Biologie durch eine in unserem Erbgut gespeicherte Erinnerung an unsere tierischen Vorfahren erklärt. „Wir können dabei an die Erfahrung unserer Hebammen anknüpfen, dass ein Neugeborenes, das auffällig stark behaart ist, aller Wahrscheinlichkeit nach vorzeitig geboren wurde und noch unreif ist. Die Beobachtung stimmt. Sie hängt damit zusammen, dass jeder menschliche Embryo etwa im 4. Monat einen regelrechten Haarpelz bekommt, der allerdings vor dem normalen Geburtstermin wieder verschwindet. Was für einen Sinn kann ein solches >Fell<. haben, das nur während der Entwicklungszeit im Mutterleib bestehen bleibt, während derer ein Schutz gegen Abkühlung gewiss nicht notwendig ist?
Dieser Pelz, den wir alle vor unserer Geburt vorübergehend tragen, ist nichts anderes als eine >Erinnerung<. unserer Gene an eine einige Dutzend Millionen Jahre zurückliegende Zeit, in der unser Geschlecht noch nicht bis zum Menschen ausgereift war und normalerweise ein Fell besessen hat.

Vorübergehend haben wir sogar Kiemen, eine unübersehbare Erinnerung daran, dass auch unsere Ahnenreihe über affenartige, dann nagetierähnliche, noch weiter zurück amphibische Vorfahren zurück bis ins Ur-Meer führt. Zwar sind auch die Kiemenspalten des Menschenembryos nur vorübergehend angedeutet und nicht etwa bis zur Funktionstüchtigkeit entwickelt. Das wäre denn doch zu unrationell. Aber immerhin führt die Erinnerung der Gene an dieser Stelle doch noch so weit, dass diese embryonalen Kiemen sogar noch mit dem charakteristischen Netz feiner Blutgefäße umgeben werden, denen beim Meeresbewohner die Aufgabe zufällt, dem an den Kiemen vorüberstreichenden Wasser den Sauerstoff zu entziehen.  …
Glücklicherweise gibt es sogar einige Fälle, in denen genau dieser Sprung, der Übergang von einem Leben im Wasser zu einer Existenz unter freiem Himmel, im Rahmen der Individualentwicklung auch heute noch konkret erfolgt.
Das bekannteste Beispiel ist der Frosch. Wie jeder weiß, verbringt dieses Tier die erste Phase seines Lebens als Kaulquappe im Wasser, bis es sich dann nach einer erblich festgelegten Frist im Verlaufe von etwa 12 bis 15 Monaten in einen auf dem Lande lebenden Frosch verwandelt. In kaum mehr als einem Jahr vollzieht jeder einzelne Frosch folglich die Umstellung, für welche die Evolution seinerzeit mindestens 50, wahrscheinlich sogar 100 Millionen Jahre gebraucht hat. Aber wenn die Lektion erst einmal gelernt ist, geht es natürlich schneller. Die Gene beherrschen das Pensum so perfekt, dass das Tier den Wissenschaftlern heute im Zeitraffer vorexerzieren kann, was seinerseits geschah.“ (7).

Die archetypische Vorstellung vom Wasser, das für die Kindheit steht, lässt sich ebenfalls durch die in unserem Erbgut gespeicherte phylogenetische Erinnerung erklären, wenn man das mütterliche Fruchtwasser, in dem der menschliche Embryo vor seiner Geburt lebt, als Rekapitulation der Lebensweise unserer Urahnen im Ur-Meer deutet (8). Der Wunsch, (wieder) zu einem Wasserwesen zu werden, wäre dann die narzisstische Sehnsucht nach Rückkehr in den Mutterleib, in die dort herrschende uneingeschränkte Geborgenheit. Hier wird der Einwand kommen: Die Unterwasserwelt wird in diesem Text doch als Symbol für die Kindheit gedeutet. Wer aber in den Mutterschoß zurückkehren will, sehnt sich in ein Entwicklungsstadium vor der Kindheit zurück. Vielleicht lässt es sich so erklären: Vorgeburtliches Leben und Kindheit sind beides narzisstische Lebensabschnitte, das heißt: beide verlaufen in mütterlicher Geborgenheit. Zwar ist diese Geborgenheit, die von der Mutter gewährt wird, nur vor der Geburt uneingeschränkt, ein Teil von ihr bleibt dem Kind jedoch durch das Umsorgtwerden durch die Eltern erhalten. Sie bewahren es – idealerweise -  in der Regel vor Konfrontationen mit der Wirklichkeit des Lebens, die es überfordern würden und für die es erst als Erwachsener stark und reif genug ist. Die Sehnsucht zurück in die Kindheit, zur Mutter, kann also als Sehnsucht nach Rückkehr ins Wasser erscheinen, weil von der ursprünglichen Geborgenheit im mütterlichen Fruchtwasser noch so viel in einer glücklichen Kindheit erhalten bleibt, dass sie als Paradies erlebt wird und in Erinnerung bleibt.

Wir haben den Wunsch nach Rückkehr ins Wasser jetzt ontogenetisch als Sehnsucht zurück zur Mutter gedeutet, als Sehnsucht, die von der in unseren Genen gespeicherten Erinnerung an das Fruchtwasser geprägt ist. Da dieses Fruchtwasser aber ein Überbleibsel, eine Wiederholung des Urzustandes unserer Ahnen im Ur-Meer ist, hat diese Sehnsucht nach dem Wasser zugleich phylogenetischen Charakter, lässt sich als Sehnsucht zurück ins Leben unserer Ur-Ahnen deuten. Aber wie kommen wir darauf? War das Leben im Wasser denn angenehmer, leichter, sorgloser? Die Biologie bejaht das. In dem Auszug unserer Vorfahren aus dem Wasser sieht Hoimar von Ditfurth einen „gewaltigen und folgenschweren Sprung“, der sie „aus dem Wasser“, ihrer „Wiege und natürlichen Heimat, auf das trockene Land verschlug“. „Dass uns heute das Wasser als feindliches, unser Leben bedrohendes Element erscheint, ist auch nur wieder ein eindrucksvolles Symptom  für die Gründlichkeit, mit der die Natur uns den im Grunde höchst abnormen Existenzbedingungen angepasst hat, denen ein lebender Organismus an der freien Luft ausgesetzt ist. Der Übergang von dem einen Element  in das andere ist schon deshalb der rätselhafteste aller Entwicklungsschritte, die wir bisher besprochen haben, weil er in dem Augenblick, in dem er sich vollzog, nicht den geringsten Vorteil, sondern nur Nachteile, Gefahren und Erschwernisse mit sich brachte.
Ein hypothetischer Beobachter, der die angestrengten und verlustreichen Versuche des Lebens mit angesehen hätte, das Wasser zu verlassen, hätte ganz sicher verständnislos mit dem Kopf geschüttelt. Denn es war nicht nur gänzlich unerfindlich, welchem Zweck das aufwändige Unternehmen dienen sollte. Es stand darüber hinaus fest, dass es die komplette Neuentwicklung einer ganzen Reihe komplizierter biologischer Zusatzleistungen und Einrichtungen erforderlich machen würde, die bis dahin vollkommen überflüssig gewesen waren.“
Ditfurth zählt nun die Nachteile des Lebens an Land auf, die es zur Mühsal machen und von denen wir zuerst diesen herausgreifen:
„Das beginnt mit dem Gewicht des eigenen Körpers. Im Wasser hatte es das nicht gegeben. Der hohe Wassergehalt aller Lebewesen hat zur Folge, dass ihr spezifisches Gewicht kaum größer ist als 1. Der geringe Überschuss lässt sich leicht – durch Luftblasen oder ähnliche Einrichtungen – ausgleichen. Deshalb wird der Meeresbewohner von seinem Element getragen. Selbst der mächtigste Wal ist im Wasser gewichtlos. Auf dem Trockenen verbraucht man dagegen als Landbewohner … bis zu 40 Prozent seiner gesamten Stoffwechselenergie allein zu dem simplen Zweck, sein eigenes Gewicht zu tragen.“
Die in den Genen gespeicherte Erinnerung an die mühelose Fortbewegung unserer Vorfahren im Wasser hat Schubart sicher zu diesen Zeilen seiner Forelle inspiriert:

In einem Bächlein helle,
Da schoss in froher Eil
Die launische Forelle
Vorüber wie ein Pfeil

Auch die Schmerzen, die Andersens Seejungfrau beim Gehen in ihren Beinen verspürt, nachdem sie ihr Element verlassen und zur Landbewohnerin geworden ist, beruhen sicher auf der in unseren Genen bewahrten Erinnerung an die Mühen der Fortbewegung, wie sie von den Wassertieren bei ihrem Auszug aus dem Wasser empfunden wurden.

Von dieser phylogenetischen Erinnerung ist sicher auch inspiriert, was Gogol in seiner Erzählung Die Mainacht oder Die Ertrunkene die utoplenniza über ihr Dasein als Wassergeist im Teich sagen lässt:

Schwer und schwül ist es mir in ihrer Nähe. Weil sie hier ist, kann ich nicht mehr so leicht und frei wie ein Fisch schwimmen. Ich ertrinke und sinke zu Boden wie ein Stein.

Die utoplenniza spricht von ihrer Stiefmutter, die sie aus Rachsucht zu sich in den Teich gezogen hat. Die Anwesenheit der verhassten Konkurrentin raubt ihrem Lebenselement, dem Wasser, seinen paradiesischen Charakter, so dass sie nicht frei und leicht wie ein Fisch darin schwimmen kann, sondern unter ihrer eigenen Schwere leidet wie ein Wasserwesen, das an Land gegangen ist und dadurch sein uranfängliches Paradies eingebüßt hat. 

Ditfurth nennt weitere Nachteile, die das Leben an Land schwer machen:
„Ein Lebewesen, das den Sprung vom Wasser aufs Land unternimmt, wird aber nicht nur plötzlich mit seinem eigenen Gewicht belastet. Es lernt nicht nur die Gefahr der Austrocknung und damit erstmals auch das Gefühl des Durstes kennen. Es sieht sich darüber hinaus auch bis dahin unbekannten Temperaturschwankungen ausgesetzt, die seinen Stoffwechsel in Unordnung zu bringen drohen: dem Wechsel zwischen Tageswärme und nächtlicher Abkühlung und, noch einschneidender, den mit dem Wechsel der Jahreszeiten einhergehenden Temperaturunterschieden. Als dem Wasser seit so langer Zeit schon entfremdete Organismen haben wir vergessen, dass auch dieses Problem vorher nicht existierte. Schon wenige Meter unter der Oberfläche der Ozeane herrscht jahraus, jahrein eine Temperatur von + 4 Grad Celsius, auf deren Gleichmäßigkeit man sich vertrauensvoll verlassen kann.“
 Die erschreckende Erfahrung, der gnadenlosen Sonne ausgesetzt zu sein, und die Angst, auszutrocknen, die unsere Vorfahren bei ihrem Auszug aus dem Wasser gemacht haben und die in unseren Genen als phylogenetische Erinnerung gespeichert ist, dürfte Goethe zu dieser Strophe seines Fischers inspiriert haben:

Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
„Was lockst du meine Brut
Mit Menschenwitz und Menschenlist
Hinauf in Todesglut?
Ach, wüßtest du, wie’s Fischlein ist
So wohlig auf dem Grund,
Du stiegst herunter, wie du bist,
Und würdest erst gesund.

Der zum kollektiven Unbewussten (9) gehörende Archetyp des im Uterus befindlichen Wassers, in dessen Gestalt ein Stück Ur-Meer mit an Land genommen wurde und bewahrt geblieben ist, prägte auch den römischen Hochzeitsbrauch, die Braut beim Eintritt in das Haus des Bräutigams mit Wasser und Feuer zu empfangen; Varro, der diese Sitte in De lingua Latina V,61 überliefert, ordnet das Wasser der Braut zu, in deren Schoß die Kinder entstehen werden:

Igitur causa nascendi duplex: ignis et aqua. Ideo ea nuptiis in limine adhibentur, quod coniungitur hic, et mas ignis, quod ibi semen, aqua femina, quod fetus ab eius humore, et horum vinctionis vis Venus.

Die Ursache für die Geburt ist demnach eine zweifache: Feuer und Wasser. Deswegen wird beides bei der Hochzeit auf der Hausschwelle verwendet, weil hier eine Verbindung stattfindet: das Feuer bedeutet den Mann, weil dort der Same ist, das Wasser die Frau, weil der Embryo von ihrer Feuchtigkeit sich entwickelt, und die Kraft der Verbindung beider ist Venus.             (10)

Die Liebesgöttin Venus personifiziert die Sexualität. Das Feuer repräsentiert als befruchtendes Lichtsperma das männliche Prinzip – ausführlicher dazu hier.

Auch die christliche Taufe, die Regeneration und Neugeburt des Menschen durch Eintauchen in Wasser symbolisiert, beruht auf der in den Genen gespeicherten Erinnerung an den Urzustand im Fruchtwasser; das Taufbecken mit seinem geweihten Wasser wird im Unterbewusstsein als Uterus erlebt. Das geht aus der Liturgie der Taufwasserweihe nach dem Ritus Romanus hervor (11) – schon H. Usener wusste: „Die brennende Osterkerze wird dreimal, immer tiefer, in das Wasser getaucht und befruchtet das Taufbecken wie einen Mutterleib – als ausgesprochenes Symbol des Heiligen Geistes“ (12). Der Heilige Geist verkörpert die göttliche Zeugungskraft, die auch Marias Schoß befruchtet hat. Der liturgische Text bezeichnet das Taufwasser ganz eindeutig als „uterus“, also „Mutterschoß“, als „regenerandis hominibus praeparatam / bereitet für die Wiedergeburt der Menschen“ und als Wasser, das der Heilige Geist „durch die Beimischung seines Lichtes befruchten möge / sui luminis admixtione fecundet“ (13).



1) C.G.Jung: Über die Psychologie des Unbewussten (Gesammelte Werke 7, § 123)

2) A.a.O., § 132

3) Sigmund Freud: Gesammelte Werke IV, 228

4) C.G.Jung: Symbole der Wandlung (Gesammelte Werke V, § 319); vgl. dort auch S. 418, Fußnote 36:
"Das Wasser als Hindernis in Träumen scheint auf die Mutter hinzudeuten, nämlich auf die Regression der Libido. Das Überkreuzen von Wasser gleich Überwindung des Widerstandes, d.h. der Mutter als Symbol der Sehnsucht nach dem schlaf- oder todähnlichen Zustand."

4a) Sigmund Freud: Die Traumdeutung (Gesammelte Werke II/III 407)

5) Das Russische hat zwei Wörter für Schwiegermutter: tjoschtscha ist die Mutter der Ehefrau, svekrov‘ die Mutter des Ehemannes – im Gedicht ist es eine svekrov‘, also die Mutter des lyrischen Ichs.

6) Alle Zwetajewa-Übersetzungen stammen von Ilma Rakusa (Suhrkamp)

7) Hoimar von Ditfurth: Im Anfang war der Wasserstoff . 17. Auflage, 2002, S. 275ff.

8) Vgl. zum Beispiel Carsten Niemitz: Das Geheimnis des aufrechten Gangs. Unsere Evolution verlief anders, S. 130: „Richtig ist nämlich die Beobachtung, dass beispielsweise ein menschlicher Embryo unser früheres Dasein als Wassertier dadurch rekapituliert, dass er als Embryo im (Frucht)wasser schwimmt.

9) Als „kollektives Unbewusstes“ bezeichnet C.G.Jung die allen Menschen gemeinsamen unbewussten Inhalte, die Archetypen. Gegensatz ist das „persönliche Unbewusste“, zum Beispiel ein Erlebnis, das verdrängt worden ist, weil es kränkt.

10) Übersetzung aus: Wolfgang Speyer: Die Zeugungskraft des himmlischen Feuers in Antike und Christentum, in: Wolfgang Speyer: Frühes Christentum im antiken Strahlungsfeld, S. 240

11) Vgl. Speyer, a.a.O., S. 249

12) Hermann Usener: Das Weihnachtsfest, 2.Auflage, 1911 (ND 1972), Anm. 35a

13) Vgl. auch Albrecht Dieterich: Mutter Erde. Ein Versuch über Volksreligion, 3. Auflage, 1925, S. 114


   
 
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