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Von allen Künsten ist die Musik am intensivsten Sache des Herzens und am wenigsten Sache des Verstandes. Für Schopenhauer ist sie "die Sprache des Gefühls und der Leidenschaft so wie Worte die Sprache der Vernunft" sind (Die Welt als Wille und Vorstellung I, § 52). Da zu den stärksten Leidenschaften die Liebe gehört, ist Musik auch in hohem Maße Ausdruck erotischer Sehnsucht und Musizieren ein - mehr oder weniger sublimierter - erotischer Akt. Dabei hat das Musikinstrument den passiven Part der Frau inne, der Musiker, der es bearbeitet, den aktiven des Mannes.


Deshalb werden Musikinstrumente gerne als Frauenkörper dargestellt:

Beispiele:
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Instrumentenbauer gestalten Musikinstrumente gerne so, dass sie an Frauenkörper erinnern. Man erhält viele Beispiele, wenn man die drei Suchbegriffe "harp", "woman’s" und "body" zusammen googelt.

Uschi Obermaier erzählt in ihrer Autobiographie Das wilde Leben (1994, S. 93-94), wie sie in ihrer Fantasie ein Musikinstrument war, auf dem Jimi Hendrix spielte:

"Es war eine ganz besondere Anziehungskraft, und dass ich Jimi Hendrix nicht verfehlen würde, hatte ich schon während des Konzerts gewusst. Lauter, hatte ich mir gewünscht, wenn er zu sanft wurde; mehr, wenn er die Gitarre so nah vor den Lautsprechern baumeln ließ, dass die Rückkopplungen durch den Saal pfiffen und kreischten. Jimi Hendrix hatte seinem Publikum nichts geschenkt und mir alles gegeben. Er hatte seine Hits in Stücke gehauen und es auf der Bühne seiner Gitarre besorgt, schnell und brutal, und das Instrument hatte gewinselt und gewimmert und geschrien, und ich hatte mitgeschrien und mitgewimmert, und als es vorüber war, brannte die Gitarre, und in mir hallte es nach und hörte nicht auf. Und die Jungs, die mich kannten, merkten, dass es keinen Zweck hatte, mich anzusprechen.
...
Er warf sein Hemd in die Ecke und zeigte mir seine weiche, dunkelbraune Haut. Er öffnete mein Oberteil, er improvisierte mit den Fingerspitzen zum Rhythmus meines Pulsschlages, dann steigerte er behutsam das Tempo, und es war ganz leicht, ihm dabei zu folgen. Er war sanfter mit mir als mit der Gitarre, er war genauso viruos, und er brauchte kein Benzin, um mich in Brand zu stecken."


Thomas Moore lässt in The Origin of the Harp, einem Lied aus den Irish Melodies, die Harfe aus einem weiblichen Elementargeist entstehen: Eine Sirene verzehrt sich in unerfüllter Sehnsucht nach einem irdischen Mann, und Gott (oder die Götter)"Heaven" erbarmt sich ihrer und erlöst sie, indem er sie in eine Harfe verwandelt, so dass sie endlich in männliche Hände gerät und ihr Verlangen gestillt wird, wobei das Instrument seine Herkunft nicht verleugnet, sondern weibliche Merkmale beibehält:

’Tis believed that this Harp, which I wake now for thee,
Was a Siren of old, who sung under the sea;
And who often, at eve, through the bright waters roved,
To meet on the green shore a youth whom she loved.

But she loved him in vain, for he left her to weep,
And in tears, all the night, her gold tresses to steep,
Till Heaven looked with pity on true love so warm
And changed to this soft Harp the sea-maiden’s form.

Still her bosom rose fair - still her cheeks smiled the same -
While her sea-beauties gracefully formed the light frame;
And her hair, as, let loose, o’er her white arm it fell,
Was changed to bright chords, uttering melody’s spell.

Hence it came, that this soft Harp so long hath been known
To mingle love’s language with sorrow’s sad tone;
Till thou didst divide them and teach the fond lay,
To speak love when I’m near thee, and grief when away!



Syrinx, die Hirtenflöte der Antike, war der Sage nach ursprünglich eine Nymphe, die ihre Keuchheit wahren wollte. Als Pan ihr nachstellte und ein Fluss ihre Flucht versperrte, verwandelte sie sich in Schilf. Ovid erzählt die Geschichte in seinen Metamorphosen (I, 689-712). Auch hier ist Musizieren im Ursprung ein Liebesakt. Den ersten Ton auf dem Musikinstrument, das Pan gerade zu entdecken beginnt, erzeugt er in Liebesbrunst seufzend - er meint ja, ein Mädchen zu umarmen:

... restabat verba referre
et precibus spretis per avia nympham,
donec harenosi placidum Ladonis ad amnem
venerit: hic illam cursum inpedientibus undis,
ut se mutarent, liquidas orasse sorores,
Panaque, com prensam sibi iam Syringa putaret,
corpore pro nymphae calamos tenuisse palustres,
dumque ibi suspirat, motos in harundine ventos
effecisse sonum tenuem similemque querenti;
arte nova vocisque deum dulcedine captum
‘hoc mihi conloquium tecum’ dixisse ‘manebit’,
atque ita disparibus calamis conpagine cerae
inter se inctis nomen tenuisse puellae.

Übrig blieb noch, die Worte anzuführen und zu berichten, wie die Nymphe seine Bitten zurückwies und durch unwegsames Gelände floh, bis sie zur sanften Strömung des sandigen Ladon gelangte; wie hier das Wasser ihren Lauf hemmte; wie sie die Schwestern der Wassertiefe bat, sie zu verwandeln, und Pan, als er glaubte, Syrinx schon ergriffen zu haben, anstelle der Nymphe Sumpfschilf im Arme hielt; wie, während er dort seufzte, die bewegte Luft im Rohr einen dünnen Ton erzeugte, der einer Klage glich; wie der Gott, von der neuen Kunstform und Lieblichkeit des Klanges gebannt, sagte: "Diese Art der Zwiesprache mit dir wird mir bleiben"; und wie er schließlich Rohre ungleicher Länge mit Wachs zusammenklebte und so seine Syrinx wenigstens dem Namen nach in der Hand hielt.

(Zitiert aus der zweisprachigen Reclam-Ausgabe, übersetzt und herausgegeben von Michael von Albrecht 1994)


James Joyce lässt in Two Gallants, einer short story, die zum Zyklus Dubliners gehört, einen irischen Straßenmusikanten in Dublin vor einem Club spielen, der von Angehörigen und Stützen der britischen Besatzungsmacht, der protestantischen ascendancy, besucht wird. Sein Instrument, eine Harfe, ist nationales Symbol Irlands. Er spielt die Melodie des Song of Fionnuala ("Silent, O Moyle..."), eines Liedes aus den Irish Melodies von Thomas Moore, das den Iren teuer war (1), weil es ihre damalige Sehnsucht nach nationaler Wiedergeburt, nach Erlösung von der Unterdrückung durch die Engländer metaphorisch zum Ausdruck bringt.
Diese Melodie spielt der Straßenmusikant ausgerechnet vor einem protestantischen Club, um den aglo-irischen Unterdrückern Geld aus der Tasche zu ziehen. In Gestalt der Harfe, Irlands Nationalemblem, prostituiert er seine Heimt. Dieser Ire hat entweder kein Nationalgefühl und verdient Abscheu, oder er muss sich auf diese Weise Geld verdienen, weil seine Familie sonst hungert, dann verdient er Mitleid - die Erzählung lässt es offen.
Im englischen Originaltext ist das grammatische Geschlecht der Harfe weiblich, obwohl es doch sächlich sein müsste:

"His harp too, heedless that her coverings had fallen about her knees, seemed weary alike of the eyes of strangers and of her master’s hands."

Das weibliche Geschlecht und die Erwähnung der Knie lassen vermuten, dass die Harfe mit einer wohl nackten weiblichen Schnitzfigur geschmückt ist (2). Entblößt ist sie den Blicken der protestantischen Herren ausgesetzt und ihrer Situation überdrüssig. Sie symbolisiert das prostituierte "Irland, das nicht selten auch als entehrte Frau dargestellt wird" (3). Man muss daran denken, dass die Frauen und Mädchen eines kolonisierten Landes immer von den Kolonialherren sexuell ausgebeutet werden. In Parallele zu der irischen Harfe, die von ihrem Besitzer benutzt wird, um an das Geld der protestantischen Clubbesucher zu kommen, wird ein irisches Dienstmädchen von zwei irischen Männern, Corley und Lenehan, den "two gallants", wie der Titel der short story sie ironisch nennt, ausgenutzt, um an Genussmittel und Geld des protestantischen Herren zu kommen, in dessen Haus sie arbeitet. Corley ist eine Beziehung mit ihr eingegangen, und da sie an ihm hängt, instrumentalisiert er sie, indem er sie ihrem Herren Zigaretten, Zigarren und schließlich ein Goldstück für sich stehlen lässt.
 

1) Vgl. Mitzi Brunsdale: James Joyce. A Study of the Short Fiction. 1993, S. 18

2) Vgl. Zack Bowen: Musical Allusions in the Works of James Joyce. 1974, S. 15

3) Harald Beck in den Anmerkungen der deutschsprachigen Reclam-Ausgabe der Dubliner von 1994.
Vgl. auch Bowen, a.a.O.: The musician’s harp, adorned presumably with a carved and nearly naked lady, is used for money-making purposes and seems in the description te resemble an exploited woman giving forth the beauty of the Thomas Moore song to please passers-by.

Weitere Beispiele:

Zwetajewa, M.: Mutter und die Musik

Zwetajewa, M.: Irgendein Vorfahr...

   
 
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