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DIE OBEREN GÖTTER                                                                   English version

Den unteren, chtonischen Gottheiten der Erde, die weiblich-mütterlich sind, stehen die männlich-väterlichen Götter der Oberwelt, des Himmels, gegenüber. Ihr Herrscher ist bei den Griechen der Himmelsgott Zeus. Sie nennen ihn "Megas Aither!, Mächtiges Luftreich!" (1) Zum Luftreich gehören die oberhalb der Erde herrschenden Elementargewalten Sonne, ihr Licht und ihre Wärme, Wind und Regen, die gerne zum Sturm anwachsen, und natürlich Gewitter mit Donner und Blitz, als männliche Numina verehrte und gefürchtete Naturpotenzen, die auf die Mutter Erde einwirken und sie befruchten.
In vielen Religionen ist die Sonne der oberste Gott, der mit seinem Licht und seiner Wärme neues Leben auf der Erde zeugt. Auch Zeus war, bevor er Menschengestalt annahm, auf seiner ursprünglichen barbarisch-naturreligiösen Stufe die Sonne und Bringer der Tageshelle, woran noch die etymologische Verwandtschaft seines Namens mit lateinisch dies "Tag" erinnert (2). In dieser Eigenschaft war er gemeinsamer Gott der Indogermanen. Bei den Römern hieß er Juppiter. Der römische Gelehrte Macrobius überliefert in seinen Saturnalia (1,15):

Da wir nämlich Iupiter als Urheber des Lichtes auffassen, weshalb ihn auch die Salier (3) in ihren Liedern als Lucetius (Lichtbringer) besingen und die Creter ihn "Gott des Tages" (Dia ten hemeran) nennen, bezeichnen ihn auch die Römer als Diespiter, nämlich als Vater des Tages (4)

Wer die Sonne anbetet, verehrt "in der Sonnenkraft die große Zeugungskraft der Natur" (5) - so Sitting Bull, ein naturfrommer Häuptling der Sioux:

Seht, Freunde, der Frühling ist da. Die Erde hat sich freudig von der Sonne umarmen lassen, und bald werden wir die Kinder ihrer Liebe sehen. Jeder Same ist erwacht, jedes Tier lebt. Dieser göttlichen Kraft verdanken auch wir unser Dasein. Darum gestehen wir unseren Mitgeschöpfen, Menschen und Tieren, das gleiche Recht wie uns selbst zu, dieses weite Land zu bewohnen. (6)

Auch in Goethes Gedicht Ganymed wird die Sonne als zeugende Vatergottheit verehrt:

Wie im Morgenrot
Du rings mich anglühst,
Frühling, Geliebter!
Mit tausendfacher Liebeswonne
Sich an mein Herz drängt
Heilig Gefühl,
Unendliche Schöne!

Dass ich dich fassen möcht'
In diesen Arm!

Ach, an deinem Busen
Lieg' ich, schmachte,
Und deine Blumen, dein Gras
Drängen sich an mein Herz.
Du kühlst den brennenden
Durst meines Busens,
Lieblicher Morgenwind!
Ruft drein die Nachtigall
Liebend nach mir aus dem Nebeltal.

Ich komm! Ich komme!
Wohin? Ach, wohin?

Hinauf, hinauf strebt's.
Es schweben die Wolken
Abwärts, die Wolken
Neigen sich der sehnenden Liebe.
Mir, mir!

In eurem Schoße
Aufwärts,
Umfangend umfangen!
Aufwärts
An deinen Busen,
Allliebender Vater!

Der schöne Jüngling Ganymed wurde von Zeus, der in Liebe zu ihm entbrannt war, in den Himmel entführt. Das ist der mythologische Hintergrund des Gedichts. Zeus in seiner ursprünglichen Entwicklungsstufe als Sonne ist das angesprochene Du. Wie bei Sitting Bull die Erde, so lässt sich in Goethes Gedicht Ganymed von der Sonne umfangen, sich "rings" anglühen mit dem, worin ihre Zeugungskraft liegt, mit Morgenlicht und Frühlingswärme. Blumen und Gras, mit denen das lyrische Ich eine innige Beziehung hat, nennt es "deine Blumen, dein Gras", was bedeutet: Sie sind deine Kinder! Die Sonne ist ihr Vater, weil sie befruchtend auf Mutter Erde einwirkend sie erzeugt hat und wachsen lässt. Ganymed, der in der letzten Zeile den Sonnengott "allliebender Vater!" nennt, weiß sich als sein Kind, sein Verhältnis zu Blumen und Gras, also zur Natur, ist geschwisterlich, ebenbürtig, noch nicht entfremdet wie im Christentum, das nach der Losung "Macht euch die Erde untertan!" den Menschen als Herrn und Ausbeuter über die Natur erhoben und dadurch seine ursprüngliche innige Verbundenheit mit ihr zerrissen hat. Ganymed-Goethe empfindet sich wie Sitting Bull als Teil der Natur und Kind der Sonne, deren "göttlicher Kraft" er wie seine Mitgeschöpfe, die Pflanzen und Tiere, sein Dasein verdankt.
Zu den Geschwistern des lyrischen Ichs in der Natur gehört auch die Nachtigall. In geschwisterlicher Liebe singt sie ihm zu. Auch ihre Sehnsucht gilt dem sieghaft heraufziehenden Frühlingstag, dem Sonnengott Dies-Zeus, der die Nebel zerstreuen und ihr seine Wärme und sein Licht bringen wird. Zugleich ist die Nachtigall als Singvogel, als Sänger, eine Verkörperung des Dichters Ganymed-Goethe. Beide preisen in ihrem Lied voller Liebesverlangen den Vater.
Die Sonnenode Ganymed ist ein Beispiel für Goethes Heidentum, denn: Sich als Teil der Natur zu fühlen und eine zeugende Naturkraft anzubeten und sinnlich-naturreligiös und auch homoerotisch zu erleben ist griechisch, nicht christlich.

Dass Zeus ursprünglich die Sonne war, deren Licht und Wärme phallischen Charakter hatten, weiß auch Ovid. In seinen Metamorphosen I, 588-597 begehrt der Gott die schöne Io und fordert sie auf, sich in einem schattigen Wald für ihn bereit zu halten, und zwar wenn "es heiß ist und die Sonne in der Mitte ihrer Bahn am höchsten steht" (7). Die Zeit der Liebesvereinigung soll also der Mittag sein, wenn die Potenz der Sonne, ihre zeugenden, wachstumsfördernden Kräfte Licht und Wärme, am stärksten sind.

An die zeugende Kraft der Sonne glaubten - wie Herodot (III, 28) überliefert - auch die alten Ägypter; sie habe den heiligen Apis-Stier mit einem Strahl erzeugt:

Der Apis, der Epaphos, ist das Kalb einer Kuh, die eine zweite Leibesfrucht nicht wieder empfangen darf. Die Ägypter sagen, ein Strahl aus dem Himmel fahre auf die Kuh hernieder, und davon gebäre sie den Apis. (8).

Wärme und Licht der Sonne wurden auch von einer schizophrenen Patientin der C.G.Jung-Schülerin Sabina Spielrein als Einwirkungen eines potenten männlichen Gottes empfunden. Die Kranke identifizierte sich mit Mutter Erde, die, unter einer Schneedecke erstarrt, vom Schein der Sonne wiederbelebt und erlöst oder von einem Sonnenstrahl durchbohrt wird (9).
Solche Wahnvorstellungen tut die Analytische Psychologie C.G.Jungs durchaus nicht als unsinnig oder wertlos ab. Die Archetypen gehören zu einer archaischen Tiefenschicht der Seele, zu der Bewusstsein und Vernunft, diese späteren Erwerbungen des Menschen, gewöhnlich in Opposition stehen. Archetypen findet man deshalb häufig in Mythen, die ja aus einer frühen, kindlichen Zeit der Völker stammen, oder in Bildern und anderen Erzeugnissen, die entstehen, wenn Bewusstsein und Vernunft, die so gerne kontrollieren und zensieren, schlafen, also in Träumen, oder wenn sie durch eine höhere Gewalt überrannt werden: in Visionen inspirierter Propheten oder Künstler. Auch bei vielen Wahnsinnigen sind Bewusstsein und Vernunft als Kontrolleure und Zensoren ausgeschaltet oder zumindest geschwächt, so dass sich archetypisches Denken entfalten kann. Spielreins Patientin hatte eine weitere Fantasie, die Ausdruck der archetypischen Vorstellung Sonnenstrahl als Phallus ist: "Jesus Christus hat mir seine Liebe gezeigt, indem er mit einem Strahle ans Fenster schlug" (10). Der Sonnenstrahl ist hart geworden, gleichsam erigiert - so kann der christliche männliche Gott damit an ihr Fenster klopfen und Einlass in sie begehren (11).
Ein hart gewordener Sonnenstrahl begegnet auch bei Wilhelm Busch. In seiner antiklerikalen Satire Der heilige Antonius von Padua begeistert der Held die Gläubigen durch salbungsvolle Predigten und auch Wundertaten. Doch nicht jeder lässt sich davon erbauen. Antonius wird angezeigt wegen "Teufelskünsten und Zauberei". Der zuständige Bischof Rusticus sucht ihn auf, um herauszubekommen, ob diese Wundertätigkeit sich Gott verdanke oder Teufelswerk sei. Antonius führt ihm eines seiner Wunder vor: Er hängt seine Kappe an einen Sonnenstrahl "wie an einen Pfahl" (12):


Des Bischofs Zweifel werden dadurch nicht zerstreut. Auch das könnte "Teufelsblendwerk" sein. Da wendet sich Antonius an ein taubstummes Findelkind, das zufällig in der Nähe spielt, und fragt es, wer seine Eltern seien. Das Kind versteht ihn nicht nur, sondern kann auch sprechen, zeigt auf den Bischof und nennt ihn als seinen Vater. Der Bischof unterbricht das Kind und spricht, um die Enthüllung seiner Vaterschaft zu verhindern, Antonius von jedem Verdacht frei.
Die beiden Wunder, die Antonius dem Bischof vorführt, sind thematisch verwandt. Das erste zeigt einen Strahl der Sonne als fest, gleichsam erigiert, das zweite enthüllt, dass der Bischof ein Kind gezeugt hat. Im Lichte der Archetypenlehre lässt sich deuten: Im ersten Wunder zeigt Antonius, dass die Sonne als Vorstufe des himmlichen Vatergottes der Christen ganz und gar nicht wie dieser asexuell war - als Naturpotenz befruchtete sie ja Mutter Erde. Das zweite Wunder, das den taubstummen Knaben zum Sprechen, ja zum Wahrsprechen bringt, zeigt, dass der Bischof, der nach katholischem Ideal doch asexuell sein soll, dies leider nicht war, sondern von seiner animalischen Potenz getrieben eine Frau schwängerte. Es ist ja Hauptthema der Satire, dieses katholische Ideal der Asexualität. Antonius selbst hat im Namen dieses Ideals das Sexuell-Animalische in sich im großen und ganzen niedergerungen, wenn auch nicht als souveräner, strahlender Sieger. Bischof Rusticus hat in diesem Kampf offenbar eine Niederlage erlitten, an die das zweite Wunder erinnert, während das erste Wunder zeigt, dass auch der christliche Vatergott ursprünglich (als Sonne und auch noch als Juppiter-Perun-Zeus) diesem unnatürlichen Ideal keineswegs entsprochen hat - nicht nur seinen (katholischen) Geistlichen, sondern auch seinem Gott tut das Christentum Gewalt an.

Dass der Gott der Christen ursprünglich die Sonne war, deren Licht phallischen Charakter hat, erkennt man auch auf Gemälden alter Meister, die darstellen, wie Maria durch Sonnenstrahlen befruchtet wird; den Heiligen Geist, von dem sie laut Matthäus 1,18 schwanger wurde, verkörpert die Taube, die dem Lichtstrahl zugeordnet ist:

Fra Angelico: Die Verkündigung  

Jean Poyer: L'Annonciation

Carlo Crivelli: Verkündigung

Rogier van der Weyden: Verkündigung (Columba-Altar)

Den phallischen Charakter des Sonnenlichts bezeugt auch die Etymologie. Phallos, das altgriechische Wort für Penis, gehört zu altgriechisch pha-os „Licht“; beide sind von der Wurzel *pha- „hell(scheinend), Licht“ gebildet und unter anderem verwandt mit altgriechisch pha-los „hell, weiß“ (12a), Pha-eton, Sohn des Sonnengottes Helios, russisch bel-yj „weiß“.
Da die Erektion des Penis durch Schwellkörper zustandekommt, hat die indogermanische Wurzel *bha(l)-, auf die griechisch *pha- zurückgeht, als Grundbedeutung neben „Licht, Leuchten“ auch „Schwellen, Aufgeblähtsein“, zum Beispiel in deutsch Ball, Ballen, lateinisch follis „Blasebalg“ (12b). Dass die Vorstellungen von Schwellen (des Phallus) und Licht im archaischen Empfinden zusammengehörten, beweisen für C.G.Jung (12c) auch Fausts  Worte (Goethe: Faust I) über den Schlüssel, den ihm Mephisto gegeben hat, um sich das Reich der Mütter aufzuschließen:

Er wächst in meiner Hand! Er leuchtet, blitzt!

Nicht nur Wärme und Licht, sondern auch die anderen Elementargewalten, die von oben, aus dem Äther kommen, Sturm mit Donner und Blitz, Regen und Wind, rühren vom Sonnen- und Himmelsgott her und haben dank ihrer zeugenden, wachstumsfördernden Kraft phallischen Charakter (12d).

So soll Alexander der Große von einem Blitz, der in den Leib seiner Mutter Olympias einschlug, gezeugt worden sein. Plutarch erzählt in seiner Alexander-Vita (Kapitel 2), Olympias habe solch ein Traumgesicht - Träumen sprach man im Altertum prophetischen Charakter zu - vor ihrer Hochzeitsnacht mit Philipp gehabt. Der Mythos, der zum Personenkult um den makedonischen König gehörte, dürfte aus dem Bedürfnis entstanden sein, den Welteroberer als Sohn himmlischer Potenz zu verehren.
Auch Dionysos wurde von einem Blitz gezeugt. Seine Mutter Semele war Zeus' Geliebte. Dessen eifersüchtige Gattin Hera verwandelte sich laut Ovid, Metamorphosen III, 253ff., in Semeles alte Amme und redete ihr Misstrauen ein, um sie zu verderben. Wie könne sie sich denn sicher sein, dass ihr Geliebter wirklich Zeus ist und kein Hochstapler, der sich nur als Zeus ausgibt. Zum Beweis solle sie von ihm verlangen, ihr in der Gestalt beizuwohnen, in der er seiner Schwester und Gattin Hera beiwohnt. Also erbittet Semele von Zeus ein Geschenk, und er schwört bei dem Unterweltfluss Styx, ihr zu gewähren, was auch immer sie verlangt. Sie äußert ihren Wunsch, und Zeus, todtraurig, darf ihn nicht verweigern, denn ein Eid bei dem stygischen Unterweltnumen bindet auch ihn. Also naht er ihr als Gewittergott, und seinem Phallus, dem Blitz, ist die sterbliche Frau nicht gewachsen und verbrennt, doch das vom Blitz gezeugte Kind Dionysos, dessen Zeus sich annimmt, überlebt und wird eine mächtige Gottheit.
Zeus wird wieder, was er ursprünglich war, Naturpotenz, die donnert und blitzt, Mutter Erde, verkörpert duch Hera (12e), befruchtet, den Gesetzen der Natur gemäß Leben gibt und nimmt, mit seinem himmlischen Feuer, dem Blitz, also schafft und zugleich zerstört, wie es dem Kreislauf des Lebens entspricht (12f).
Zugleich gestaltet der Mythos die archetypische religiöse Vorstellung von Gott, dessen wahres Wesen der Mensch nur in abgemilderter Gestalt erleben darf, da es so gewaltig ist, dass es ihn sonst zerstören würde (wie die Flamme ein Nachtinsekt, das ihr zu nahe kommt). Die Macht des alten Gewittergottes der Griechen ist übermenschlich, aber nicht übernatürlich. Ersteres hat er mit dem christlichen Gott gemein, in letzterem unterscheidet er sich von ihm. Die antiken Götter bleiben immanent, bleiben Gewalten der Natur, die sie - anders als im Christentum - nicht transzendieren; Zeus ist Teil der Natur und wie diese gezeugt - im Gegensatz zum christlichen Gott hat er Vater und Mutter: Kronos und Rheia. Der Grieche erhebt sich auch in seiner Gottesvorstellung nicht sehr über die Natur, der Christ schon: einen nicht allzu bescheidenen Abglanz fühlt er von seinem Gott, dessen Ebenbild und Missionar er ist, auf sich fallen - vielleicht hängt damit zusammen, dass keine naturnah gebliebene Kultur, sondern die christliche Zivilisation das Atom spaltete.

Vom Regen, der gleichsam als göttliches Sperma Mutter Erde befruchtet und ihre Pflanzen wachsen lässt, sagt das Aischylos-Fragment 55 (125) in den Worten der Liebesgöttin Aphrodite:

Sehnt sich der hehre Himmel nach der Erde Schoß,
Fasst Sehnsucht auch die Erde, ihm vermählt zu sein.
Und Regen, der, umarmt er sie: vom Himmel strömt,
Schwängert die Erd', und sie gebiert dem Menschenvolk
Der Herden Weide und Demeters Frucht fürs Brot.
Der Bäume Blüte wird durch solcher Brautnacht Tau
Gedeihnde Frucht. Bei alledem bin ich am Werk. (13)

Bei den Eleusinischen Mysterien rief man nach oben blickend hye! "Regne!" und zu Boden blickend kye! "Empfange!" Der Himmel wird beschworen, die Erde zu befruchten, und die Erde, schwanger zu werden (14).

Dass vom Herrscher des Luftreichs nicht nur Tageshelle und Sonnenstrahlen kommen, sondern auch der Regen, glaubten auch die heidnischen Slawen. Das bezeugt die Etymologie des slawischen Wortes für Regen, russisch dozhd', polnisch deszcz, tschechisch déšť , slowakisch dážď . Es lässt sich auf indogermanisch *dus-dius zurückführen (15); der zweite Bestandteil -*dius, wovon sich der Name Zeus und lateinisch dies "Tag" ableiten (16), dürfte "Tag(eshelle), Himmel, Himmelsgott" bedeutet haben, während aus der ersten Silbe -*dus altindisch dus- "übel, miss-" und altgriechisch dys- "miss-, un-" entstanden. Dys- fungiert im Griechischen auch als Gegensatz zu eu- "gut, wohl", dys- und eu- sind häufig antonymische Präfixe, zum Beispiel in eu-menes "wohlgesonnen" - dys-menes "übelgesonnen" oder eu-klees "ruhmvoll, berühmt" - dys-klees "unrühmlich, berüchtigt". Im Griechischen hätte *dus-dius ein *dys-dios mit der Bedeutung "nicht-strahlender, mit (Regen)wolken bedeckter Himmel, Unwetter", mit der ursprünglichen Bedeutung "mürrischer oder zürnender Himmelsgott" ergeben können - leider ist solch ein Begriff nicht belegt, wohl aber sein Gegensatz eu-dios "mit ruhigem Wetter, heiterem Himmel" und das Substantiv eu-dia "schönes, heiteres, ruhiges Wetter" (17). Sonnenlicht und Regen waren für vorchristliche, naturfromme Griechen wie Slawen eines Ursprungs, zwar Gegensätze, aber keine, die sich ausschließen. Das Licht kommt vom göttlichen Himmel, wenn er heiter ist, strahlt, der Regen, dozhd', wenn er nicht strahlt, sondern das Gegenteil von heiter, *dus-dius ist. Mit beidem befruchtet er die Erde.

Nicht Regen allein und nicht Licht allein ermöglichen Wachstum, sondern gemeinsam, deshalb ist es nur natürlich, wenn sie sich in einem poetischen Bild vereinigen, dem Goldregen der Danae. 
Danae - so überliefert Sophokles den Mythos in seiner Antigone (944ff.) - wird von ihrem Vater Akrisios in einem gruftartigen Zimmer gefangen gehalten, weggesperrt vom "Licht des Himmels", damit sie nicht schwanger wird. Dennoch befruchtet Zeus sie, und zwar mittels eines goldenen Regens, der zu ihr durchdringt - "goldenströmendes Sperma (gonas chrysorytous)" nennt es Sophokles.

Auch in einem Gedicht von Fjodor Tjutschew, Frühlingsgewitter /Весенняя гроза, das in Russland berühmt ist, vereinigen sich Sonnenlicht und Regen:

Ich liebe ein Gewitter Anfang Mai,
Wenn der erste Frühlingsdonner
Wie in einem ausgelassen-wilden Spiel
Im blauen Himmel dröhnt.

Junge Donnerschläge rollen,
Ein Regen hat gesprüht, Staub fliegt,
Regenperlen sind hängen geblieben,
Und die Sonne lässt die Fäden golden glänzen.
                                                                                                                      

Vom Berg eilt ein flinker Strom,
Im Wald schweigt nie der Vögel Lärm,
Und der Lärm im Wald und der Lärm auf dem Berg
Sind heiteres Echo der Donner.

Du sagst: Die lose Hebe
Fütterte einst den Adler des Zeus
Und den donnerbrausenden Pokal
Verschüttete sie lachend vom Himmel auf die Erde.                                                                            

Die letzte Zeile der zweiten Strophe, die man auch übersetzen könnte "Und die Sonne färbt die Fäden (der Tropfen) golden", evoziert ähnlich dem Danae-Mythos die Vorstellung eines Gold- oder Lichtregens, und nicht nur diese Zeile, sondern die ersten drei Strophen insgesamt schaffen ein Bild der von einem Gewitter erfrischten und belebten Natur, in der jene Gegensätze vereint sind, die sich nur scheinbar ausschließen: Der Himmelgott Dies-Zeus war dusdius, hat gewittert und sich krachend mit Regenschauern zugezogen, um bald darauf als eudios zu strahlen. Der Himmel ist blau und zugleich hört man noch Donnergrollen; Sonne und  Regen sind in diesem Gedicht zu Recht vereint, weil sie beide nötig sind, um die Natur im Frühjahr (Titel des Gedichts!) zu neuem Leben zu erwecken, und weil sie eines Ursprungs sind: Beide kommen von Dius, dem Sonnen- und Regengott Zeus.
Dessen "Person" widmet sich die letzte Strophe. Die weibliche Göttin Hebe füttert den Adler, der Attribut des Zeus ist. Der Raubvogel verkörpert die animalisch-triebhafte Seite des Gottes, so dass man ihn als Ausdruck seiner sexuellen Potenz, als seinen Phallus deuten kann (18). Geschildert wird dann ein Hieros Gamos, eine Heilige Hochzeit - darunter versteht die Religionswissenschaft eine Liebesvereinigung von zwei Göttern, durch die Mutter Erde befruchtet und die Natur verjüngt - Hebe ist Göttin der Jugend! - und zu neuem Wachstum angeregt wird. Als Beispiel für solch einen Hieros Gamos wird gerne eine Stelle in Homers Ilias (14, 346ff.) angeführt, wo Zeus seiner Gattin Hera, die das weibliche Prinzip in der Natur verkörpert, beiwohnt und dadurch Wachstum von Pfanzen bewirkt:

Also Zeus, und umarmte voll Inbrunst seine Gemahlin.
Unten nun spross die heilige Erd' aufgrünende Kräuter,
Lotos mit tauiger Blum', und Krokos, samt Hyakinthos,
Dichtgedrängt und weich, die empor vom Boden sie trugen:
Hierauf ruheten beid', und hüllten sich rings ein Gewölk um,
Schön und strahlend von Gold; und es taueten glänzende Tropfen. (19)

Zeus umgibt sich und Hera mit einer Wolke, damit keiner sie beobachtet. Diese Wolke, die der Licht- und Sonnengott Zeus zu dem Liebesakt schuf (und die wohl auch Ausstrahlung seines Liebesverlangens, seiner Potenz ist), ist golden. Von ihr "fallen leuchtende Tautropfen herab" (wörtlich übersetzt) - auf die Erde oder die Pflanzen, wie man sich vorstellt. Tau ist mit Regen verwandt und gilt wie dieser als himmlisches die Erde befruchtendes Sperma. Wie im Danae-Mythos und im Tjutschew-Gedicht vereinigen sich in den Tautropfen Wasser und Licht.
Solch einen Hieros Gamos, der auf Erden Wachstum bewirkt, schildert auch Tjutschews Gedicht. Ein Liebesakt wird metaphorisch angedeutet: Der Adler, das phallische Tier, steckt seinen Schnabel in ein Gefäß, also in ein Mutterschoß-Symbol, in dem sich etwas zeugungsträchtiges zusammenbraut: ein Gewitter, das auf die Erde geschüttet wird. Sexuelle Spannungen, die sich im Geschlechtsverkehr der männlichen Gottheit, die zugleich himmlische Naturgewalt ist, mit der weiblichen Gottheit, die Mutter Erde verkörpert, entladen, sind zugleich elektrische Spannungen, die sich im die Natur befruchtenden Gewitter entladen. Von dem Hieros Gamos des Himmelsgottes mit der Göttin Hebe (20) wird die Natur verjüngt und neu belebt. Tjutschew empfindet wie die alten Griechen naturreligiös: Der Schöpfergott ist Elementargewalt: Gewitter, Regen, Sonne, Licht, denen sich das Leben auf Erden verdankt.

Spielreins Patientin identifizierte sich mit Mutter Erde, die vom Sonnenlicht befruchtet wird. Männer, besonders wenn sie größenwahnsinnig werden, identifizieren sich gerne mit dem Himmels- und Sonnengott. So der Naturforscher Victor Frankenstein in Mary Shelleys Roman Frankenstein oder der moderne Prometheus, der, sich zum Schöpfergott aufschwingend, totem Fleisch mit Hilfe von Elektrizität Leben einhaucht. Sein Ideal sind Wissenschaftler, die "in die geheimen Winkel der Natur" vordringen (penetrate into the recesses of nature)" und wie Zeus Donner erzeugen können ("can command the thunder of heaven"). So überrascht es nicht, dass zu Frankensteins Allmachtfantasien eine Vorstellung gehört, die wir im Zusammenhang mit den Danae-Mythos, dem Tjutschew-Gedicht und der Ilias-Stelle behandelt haben: der Archetypus Gold- oder Lichtregen als himmlisches Sperma, als Lichtsame oder Feuersame des zeugenden Sonnengottes:

No one can conceive the variety of feelings which bore me onwards, like
a hurricane, in the first enthusiasm of success.  Life and death
appeared to me ideal bounds, which I should first break through, and
pour a torrent of light into our dark world.  A new species would bless
me as its creator and source; many happy and excellent natures would
owe their being to me.  No father could claim the gratitude of his
child so completely as I should deserve theirs.
...
...I collected the instruments of life around me, that I might infuse a spark of being into the lifeless thing that lay at my feet.

Solche Gedanken bewegen Frankenstein, als er aus Leichenteilen einen menschlichen Körper zusammenflickt, um ihn mit Elektrizität zum Leben zu erwecken. Das Bild vom "torrent of light" hat natürlich die vordergründige Bedeutung: Als Naturforscher bringt er Licht in noch unerforschte Gefilde der Natur. Doch die beiden darauf folgenden Sätze verraten, dass er sich dabei als zeugender Vater fühlt, sein Forscherdrang ist sublimierte Sexualität, mit dem "Sturzbach aus Licht", den er "into our dark world" "gießt", dringt er in die Mutter Erde ein, holt aus ihrem Schoß beerdigte Leichen und zeugt neues Leben. Physikalisch gesehen erzeugt Frankenstein das Leben mit Galvanismus, also Elektrizität, archetypisch gesehen ist diese Elektrizität wie auch Blitze, in deren Gestalt sich Spannungen bei Gewittern entladen, himmlisches Feuer, das Zeus gehört, aber von Prometheus geraubt und den Menschen gegeben wurde - ein Akt der Hybris; einen „modernen Prometheus“ nennt Shelley ihre Hauptfigur deshalb im Titel des Werks. Einen Frankenstein, der sich den Blitz, der vom Himmel herabfährt, als Leben zeugende Potenz zu Diensten macht, zeigt die zum Klassiker gewordene Verfilmung des Romans von 1931 durch James Whale (20a).
Künstliche, von Menschen erzeugte Blitze, die phallischen Charakter und verhängnisvolle Folgen haben, kommen nicht nur in Mary Shelleys Roman als Galvanismus vor, sondern auch in einem Horrorfilm aus dem Jahr 1933: King Kong und die weiße Frau. Als der Riesenaffe in New York gefesselt zur Schau gestellt und zusammen mit der blonden Ann Darrow, in die er verliebt ist und die er ritterlich vor anderen Untieren geschützt hat, von Reportern fotografiert wird, versetzt ihn das Blitzlichtgewitter in einen Furor, dessen Ursache Showmaster Denham intuitiv erkennt und den Reportern zuruft:

Hold on. He thinks you’re attacking the girl.

King Kong erlebt die flashs, die die Reporter in Richtung seiner Ann senden, als sexuelle Attacken, die seine Eifersucht und seinen Beschützerinstinkt wachrufen, so dass er seine Ketten sprengt und in Manhattan marodiert. Es ist ja auch Erotik im Spiel, wenn die Reporter mit ihren Blitzlichtaufnahmen den Sexappeal der attraktiven jungen Frau einfangen, damit die gesamte amerikanische Nation - durch Zeitungen, Zeitschriften, Wochenschauen - in seinen Genuss kommt. Ann Darrow aber ist für Menschen tabu, denn sie wurde von frommen Eingeborenen dem Inselgott Kong als Menschenopfer dargebracht. Die Reporter freveln und wiederholen den Frevel, den Denham auf Kongs Insel beging, als er zusammen mit seinen Männern mit Waffengewalt in ihre jungfräuliche Natur, die für Menschen tabu ist, eindrang und sie dadurch schändete. Denham ist vom gleichen Wunsch wie Frankenstein getrieben: In die geheimen Winkel der Natur einzudringen, „penetrate into the recesses of Nature“. Doch die Natur schlägt zurück: In Gestalt des Monsters, das seinen Erzeuger Frankenstein in seinem Haus heimsucht und seine Braut Elizabeth attackiert. Und in Gestalt des Riesenaffen, der die Metropole New York verwüstet und sich sein Opfer Ann zurückholt.

Da die uranischen (21) Götter Herren der Welt über der Erde, des Luftreichs, sind, "en aitheri naion" (22), verwandeln sie sich bevorzugt in (Raub)Vögel, und es verwundert nicht, dass Zeus, der oberste dieser Götter in Griechenland, die Gestalt des Königs der Lüfte, des Adlers, annimmt. Man muss sich seine Entwicklung so vorstellen: Als Herrscher und stärkste Potenz war er zuerst die höchste Naturgewalt, die Sonne, später, auf theriomorpher Stufe, ein Adler oder anderer Raubvogel, bis er schließlich im Zuge der Entwicklung der Menschheit aus Urzeit und Barbarei zur Kultur vermenschlicht wurde, aber seine ursprünglichen Züge als Sonne und Adler nie verleugnet. So verwandelt sich Zeus, nachdem er Menschengestalt angenommen hat, gerne in den Adler zurück und behält ihn als Attribut: als Waffe oder ausführendes Organ, das zum Beispiel seinen Widersacher Prometheus durch Nagen an der Leber bestraft.
Eine slawische Entsprechung zu dem indogermanischen Gott, der bei den Griechen Zeus und bei den Römern Juppiter hieß, war Perun, der oberste Gott der heidnischen Russen. Auch er donnert und blitzt, die Eiche ist ihm heilig, die Etymologie seines Namens verweist auf seine ursprünglich theriomorphe Gestalt als Vogel: Perun ist von der slavischen Wurzel *per- "Feder, Flügel"  gebildet, bedeutete also anfangs "gefiederter Gott", "geflügelter Gott", "Vogelgott" (23).

Sonne, Licht, Wind, Regen, Donner und Blitz haben als männliche Götter oder deren phallische Attribute oft zugleich Merkmale ihrer späteren theriomorphen Gestalt als Vogel:
In einem Fragment des Aischylos werden die Blitze des Zeus als seine "feuertragenden Adler" bezeichnet (24).
Da der Adler Blitzcharakter hat, Blitz in anderer Gestalt ist, wird er von Blitzen, die sozusagen seine Artgenossen sind, nach der Überzeugung der Alten nicht getötet: "negant umquam solam hanc alitem fulmine exanimatam" (25).
Auch viele afrikanische Völker stellten sich den Blitz als Vogel vor, zum Beispiel die bantu-sprachige Ethnie der Tumbuka - ein Missionar hat von einem Mädchen erfahren, das vom Blitz getroffen wurde und die Brandwunden, die es davontrug, für Kratzer hielt, die ihr der Blitzvogel mit seinen Krallen zufügte:

The natives have a curious and confirmed belief that lightning is a bird.
"Have you ever seen it?" I asked the night watchman."No, but a girl of our village saw it no long ago," he said. "And she surprised us by telling us it was quite a big bird. ... She was hoeing one day in the garden, when the bird splashed in a pool of water near her, ran up her hoe and scratched her, and flew back into the clouds. The lightning is the flash of its going, and the thunder the noise of its wings. ... If you don't believe me, I tell you I saw the marks of its claws on her body,  and a man in the village has one of his feathers."                                                (25a)

Eine Entsprechung zu Zeus ist Horus, der "falkenartig vorgestellte Himmelsgott" (26). Ursprünglich war er die Sonne, die die Ägypter deshalb gerne geflügelt darstellten, zum Beispiel auf dem Thron des Tut-ench-Amun (27); die beiden Schlangen verkörpern die animalische Potenz - vgl. auch den wikipedia-Artikel "winged sun".
Als Abkömmling der Sonne muss der Adler der Kraft des Vaters gewachsen sein, deshalb glaubte man, der scharfäugige Seeadler ziehe nur Junge auf, die ohne zu tränen, in die Sonne blicken können, andernfalls tötet er sie (28).
Ein anderes Kind uranischer Abstammung ist der Apisstier. Er wird - wie oben erwähnt - von einem Lichtstrahl gezeugt, sein Vater ist also die Sonne; auf dem Rücken trägt er das Bild eines Adlers als Kennzeichen seines himmlischen Erzeugers auf seiner theriomorphen Entwicklungsstufe als Raubvogel (Herodot III, 28).

Ein Beispiel für die enge Beziehung zwischen Wind und Adler ist die nordische Sagengestalt
Hräsvelgr, ein Riese, der in Adlergestalt am Himmelsrand sitzt und mit seinen Schwingen den Wind erzeugt.
Ein Albatros als Erzeuger eines Windes ("the bird that made the breeze to blow") steht im Mittelpunkt von Samuel T. Coleridges Ballade The Rime of the Ancient Mariner. Ein englisches Schiff verschlägt es zum Südpol. Es verirrt sich zwischen Eisbergen, Schnee und Nebel rauben die Sicht, da erscheint ein Albatros und in seinem Gefolge ein günstiger Südwind, der das Schiff aus der tödlichen Gefahr herausbringt. Vieles spricht dafür, dass der Albatros der oberste Gott in Vogelgestalt ist. So spaltet ein "thunder-fit" zur Rettung des Schiffes die Eismassen - zum Archetyp des Sonnen- und Himmelsgottes gehört ja, dass er donnert und blitzt. Und dem Seemann, der den Albatros erschossen hat, hängen seine Kameraden das tote Tier als Strafe um den Hals, und zwar an Stelle des Kreuzes:

Instead of the cross, the Albatross
About my neck was hung.

So wird der Vogel, der den Seeleuten Erlöser aus der Todesnähe war und dafür ermordet wurde, mit dem Sohn des obersten Gottes, dem Erlöser Christus, gleichgesetzt.
Dass Wind und Adler in der archetypischen Vorstellungswelt wesensverwandt sind, zeigt auch Ovids Schilderung, wie der ausgesprochen männliche Windgott Boreas, der raue Nordwind, Orithyia entführt (Metamorphosen VI, 702ff.).  Er hat Flügel, mit denen er gleich Hräsvelgr Wind erzeugt und Orithyia packt, und die Söhne, die sie ihm gebiert, haben an den Armen Federn - Merkmale der ursprünglichen Entwicklungsstufe als Naturpotenz Wind und der späteren theriomorphen Stufe als Raubvogel sind kombiniert.

An einer anderen Stelle der Metamorphosen (1,264ff.) nimmt ein Wind zusätzlich zu seiner Menschengestalt als männlicher Gott nicht nur Vogelmerkmale an, sondern führt auch Regen mit sich und donnert, so dass vier uranische Naturpotenzen vereint sind: Wind, Vogel, Regen, Donner:

Der Südwind fliegt auf feuchten Schwingen heraus, das furchterregende Gesicht mit pechschwarzem Nebel bedeckt. Der Bart ist schwer von Regen, vom grauen Haar fließt Wasser, an der Stirn ruhen Nebelschwaden, von Tau triefen die Federn und das Gewand. Kaum hat er mit der Hand die weit und breit am Himmel hangenden Wolken gepresst, platzen sie mit Getöse; dann gießt es vom Himmel in Strömen.   (Übersetzung: M. von Albrecht)

In einem entscheidenden Aspekt jedoch scheint dieses Bild - zunächst - nicht dem Archetypus zu entsprechen, denn der Südwind kommt als vogelartiger Regengott nicht, um Leben zu zeugen, sondern um Leben zu vernichten. Zeus hat ihn losgeschickt, um die sündige Menschheit zu ertränken, eingeleitet wird so die berühmte Schilderung des antiken Pendants zur biblischen Sintflut. Die Naturpotenz Regen, die sonst zeugt und befruchtet, wirkt hier zerstörend, es offenbart sich also wieder jener Doppelaspekt, den wir schon beim himmlischen Feuer kennengelernt haben, als es Dionysos zeugte und Semele tötete (vgl. Fußnote 12b); auch in der ovidischen Sintflutschilderung wirkt der Regen in einem höheren Sinne nicht nur zerstörend, sondern auch schaffend, weil erst die Vernichtung der alten, sündigen Menschheit Voraussetzung für ihre Erneuerung, ihre Neugeburt ist.
Der Hang der Elementarkräfte Wind, Vogel, Regen (und Regenwolken), sich in der archetypischen Vorstellungswelt zu vereinigen, erklärt vielleicht auch die etymologische Verwandtschaft von lateinisch aquilo, -onis "Nordwind" und aquila, -ae "Adler". Aquilo lässt sich auf ein Adjektiv aquilus, -a, -um "dunkel(braun), schwärzlich" zurückführen, das von aqua, -ae "Wasser" abgeleitet wird. Wie kommt man aber von Wasser, das doch durchsichtig ist, auf "dunkel"? Ein Wind bringt oft Niederschläge, kommt mit "regenschwangeren, dunklen Wolken" (29) und überschattet, verdunkelt, indem er sich vor die Sonne schiebt, das Land, ist also selbst dunkel und bringt Dunkelheit, so dass er, wenn er aus dem Norden wehte, - vielleicht über aquilus ventus - aquilo genannt wurde. Und lässt er die Wassermassen, die er mit sich führt, sich auf das Land ergießen, so passt das auch in den archetypischen Vorstellungskomplex: Der Himmelgott wirkt wachstumsfördernd auf Mutter Erde ein, befruchtet sie mit Regen. Und da der Himmelgott im archetypischen Denken gerne Raubvogelgestalt annimmt, könnte aus aquilus ventus oder aquilo der Begriff aquila, -ae für den Herrscher der Lüfte, den Adler, entstanden sein (30).
Die etymologische Verwandtschaft von aquilus "dunkel", aquilo "Nordwind" und aquila "Adler" erklärt sich also - möglicherweise - durch eine Kombination archetypischer Vorstellungen: Himmelgott, Wind, Vogel, Regen, wozu als weitere, ebenfalls archetypische, Vorstellung die des Überschattens, mit Dunkelheit Einhüllens (31), des Bedeckens und Umfangens überhaupt kommt. Der Wind überschattet Mutter Erde mit den Wassermassen, die er als dunkle Wolken heranführt, und befruchtet sie zugleich mit ihnen - das Überschatten, (mit Dunkelheit) Bedecken hat also sexuelle Bedeutung, wofür es zahllose andere Beispiele gibt:
Im Neuen Testament ist es Gottes Pneuma Hagion, also der Heilige Geist, den man aber auch als Heiligen Wind / Gotteswind übersetzen kann, der die Jungfrau Maria "überschattet" und zur Mutter macht, und dieser göttliche Geist-Wind wird auf alten Bildern gerne als Taube dargestellt, so dass sich auch die Vorstellung eiones Vogels zu diesem Archetypus gesellt.
In Hesiods Theogonie 176ff. wird die Liebesvereinigung des Himmels mit der Erde so geschildert:

Es kam aber der große Himmel, führte die Nacht herauf, umfing die Erde voller Liebesverlangen und breitete sich ganz über sie.   (Übersetzuung: Otto Schönberger)

Die Vorstellung vom Bedecken als Begatten prägt auch die Sprache der Pferdezüchter, die sagen: Der Hengst deckt die Stute - mehr Beispiele zu diesem Archetypus hier.
Liebendes Umhüllen kommt auch in Goethes oben behandelter Sonnenode Ganymed vor. "Umfangend umfangen" - so schildert das lyrische Ich seine Liebesvereinigung mit dem Himmelsgott Zeus, der den Entrückten als Wolke umfängt.

Den Donner stellten sich viele Indianer geflügelt vor, als "thunderbird", zum Beispiel die Winnebago - die Ethnologin Natalie Curtis Burlin überliefert, was ein Angehöriger dieses Stammes, der zur Sioux-Sprachfamilie gehört, erzählt hat:

The thunder is a spirit, and it is the emblem of war; it is winged, mighty, and awful, and it is called the Thunder-Bird.                      (31a)

Auch in Sophokles' Drama Ödipus auf Kolonos erscheint der Donner geflügelt, (als phallisches Attribut des Zeus):

Dieser geflügelte Donner des Zeus wird mich alsbald
zum Hades bringen             (1460f.)

sagt der seines Lebens müde Ödipus, der sich anschickt, zum Sterben in die Mutter Erde einzugehen. Sehen wir uns den Zusammenhang an!
Ödipus hat für eine Ursünde der Menschheit, den Wunsch, den Vater zu töten und die Mutter zu heiraten, durch Selbstblendung und Umherirren als blinder, unbehauster Bettler gebüßt und sich dadurch zu einer höheren Existenz als Heros, als lokaler Schutzgott, geeignet gemacht. Der Übergang vom Leben als Büßer zum neuen Dasein als Schutzgott bedeutet: Durch Sterben Eingehen in den Schoß der Mutter Erde und Wiedergeburt durch sie. Hat der Held im Drama Ödipus Rex das begangen, wonach Sigmund Freud den Begriff Ödipus-Komplex prägte: Ermordung des Vaters und Inzest mit der Mutter, kommt bei der Interpretation des späteren Dramas Ödipus auf Kolonos die Jungsche Inzestdeutung ins Spiel. Abweichend von Freud erklärt C.G.Jung den Inzest-Wunsch als Streben nach Regression, also nach Regeneration durch intime Nähe zur Mutter, wozu Sexualität gehören kann, aber nicht muss, und als ein Extremfall: Regeneration und Wiedergeburt durch Tod, das heißt duch Eingehen in den Schoß der Mutter Erde (32). Solch eine inzestuöse Regression wird Ödipus in Ödipus auf Kolonos zuteil. Mutter Erde nimmt ihn in ihren Schoß auf, um ihn von seinem Dasein als blinder, unbehauster Büßer zu erlösen, zu regenerieren und zum Heros wiederzugebären.
Für C.G.Jung spielt sich solch ein heiliger Inzest zwischen zwei Personen ab: Mutter und Kind. Was ist aber mit dem Vater, der in der Freudschen ödipalen Situation, die eine Dreiecksbeziehung ist, Konkurrent des Sohnes ist und ihn mit Kastration bedroht? Bei Sophokles ist der Vatergott Zeus nicht Nebenbuhler, sondern Helfer und Verbündeter. Er will die Vereinigung des Sohnes mit der Mutter nicht verhindern, sondern wirkt mit, ja macht sie erst möglich, indem er donnert und blitzt, "der Mutter Erde Dunkel bringend" (1480f.), sie also in Finsternis hüllend, wie es auch Uranos tat, als er sich mit Gaia in Liebe vereinte (Hesiod: Theogonie 176). Es handelt sich also um einen Zeugungsakt zwischen Vater- und Muttergottheit, während der Sohn Ödipus eher passives Objekt ist. Das Gewitter symbolisiert dabei die Entladungen sexueller Spannungen des Himmelsgottes, auch das Motiv des Hüllens in Finsternis spricht für einen Zeugungsakt - zum
archetypischen Umfangen beim Sexualakt siehe hier!
Von Zeus' ursprünglicher theriomorpher Vogelgestalt, die seine animalische Potenz symbolisiert, erscheint hier etwas in dem Flügeldonner, der wie sein Blitz phallischen Charakter hat. Der geflügelte Donner dringt mit Ödipus in den Hades, also ins Innere der Erde, die sich mit einem Spalt geöffnet hat, um ihn aufzunehmen, was bedeutet: Nicht Ödipus zeugt sich durch Eingehen in die Mutter Natur neu - zumindest schafft er es nicht aus eigener Kraft - , sondern Zeus zeugt ihn neu, befruchtet Mutter Erde, indem er den greisen Ödipus gleichsam als Same in sie schickt, damit er neugeboren wird zu einer erhöhten Existenz als lokaler Schutzgott. Der heilige Inzest geschieht nicht wie in Ödipus Rex als Sünde, in Dissonanz mit den göttlichen Mächten, sondern in Harmonie mit ihnen.

Bruder des Todes ist der Schlaf, der eine Regeneration im kleinen und Wiedergeburt zu einem neuen Tag schenkt. Zwischen Tod und nächtlichem Schlaf liegt der Winterschlaf, der Thema eines Gedichtes von Tjutschew ist, Есть в осени первоначальной / Der Herbst in seiner goldnen Frühe:

Der Herbst in seiner goldnen Frühe
Hat eine Spanne, kurz, doch wunderbar:
Kristallne Tage ohne Mühe
Und Abende, so hell und klar.

Die Sichel hat sich ausgetobt, die Ähren
Sind eingebracht, frei dehnt sich, unbegrenzt,
Die Flur, nur auf der Furche dort, der leeren,
Der ledigen, ein Spinnwebfaden glänzt.

Die Luft ist leer und still, kein Lärm hienieden
Von Vögeln, Winterstürme drohn noch nicht -
Du blauer Himmel gießt dein warmes, reines Licht
Aufs Feld und störst nicht seinen Frieden.

Kein Mensch, kein Tier, kein Gott belebt das Gedicht – ist es ein Stillleben, nature morte? Nur scheinbar. Eine Spinne erscheint in unserer Vorstellung, denn wer sonst hat den Spinnwebfaden hervorgebracht und mit ihm eine Reise vollendet? Und für den Leser, dem Archetypen etwas sagen, sind Himmel und Erde Numina: Mutter Erde empfängt mit ihren geöffneten und leeren, also zur Aufnahme bereiten Furchen Licht und Wärme der Sonne, sie lässt sich befruchten, es ist ein hieros gamos. Nun stutzen wir. Die Jahreszeiten, in denen der Himmelsgott befruchtend und wachstumsfördernd auf die untere Natur einwirkt, also Frühling und Sommer, sind in diesem Herbstgedicht doch vorbei, es geht auf den Winter zu, dessen Stürme zwar noch fern, aber schon angekündigt sind. Dennoch findet ein Zeugungsakt statt und es geht dabei um die Spinne – um das zu verstehen, lassen wir uns von der Zoologie belehren:

Man kann wohl mit Recht sagen, dass die Spinnen alle auf dem Land verfügbaren ökologischen Nischen besetzt haben.
Aus dieser ausgedehnten Verbreitung ergibt sich die Frage, wie es den Spinnen gelingt, auch abgelegene Gebiete (z.B. Inseln) zu besiedeln. Hierfür wird vor allem die Fähigkeit vieler Jungspinnen, sich über weite Strecken durch die Luft verfrachten zu lassen, verantwortlich gemacht. Dieses Fliegen am eigenen Faden ("ballooning") wird aktiv eingeleitet, indem sich die Spinne auf "Zehenspitzen" gegen den Wind stellt, den Hinterleib schräg aufwärts richtet und einen Faden austreten lässt. Dieser wird vom Luftzug erfasst und hebt die Spinne mit vom Untergrund ab. Meistens werden die Spinnen nur über kurze Strecken verweht - unter günstigen Windbedingungen können aber auch erstaunliche Höhen und Entfernungen erreicht werden. ... Darwin berichtet in seinem Tagebuch (1832) von unzähligen kleinen Spinnen, die sich 100 km vor der südamerikanischen Küste in der Takelage des Forschungsschiffes Beagle verfingen.
...
Natürlich überleben nur wenige der "Aeronauten": Viele werden unterwegs von Vögeln (z.B. Schwalben) gefressen, andere landen auf offenem Wasser oder in einem anderen völlig ungeeigneten Lebensraum.                                                                              (32a)

Wichtig für unsere Interpretation ist auch, was dort zur Überwinterung der Spinnen steht:

Etwa 85 % unserer heimischen Spinnenfauna überwintert in der Bodenzone, vor allem in der gut isolierenden Streuschicht. Die meisten Spinnen nehmen dabei eine Starrestellung ein ... , bei der die Beine eng an den Körper gezogen werden, so dass die Körperoberfläche klein gehalten wird. Das Mikrohabitat der Bodenstreuzone schützt sowohl vor Temperaturextremen als auch vor Austrocknung.                                                                                 (32b)

Es ist Altweibersommer. Die Spinne ist angekommen. Mit dem Faden hat sie jene gefährliche Lebensreise hinter sich gebracht und einen Ort erreicht, wo sie in die Mutter Erde eingehen kann, die als Ackerland bereit ist, sie als Same zu empfangen. Und wie bei Sophokles‘ Ödipus auf Kolonos vollzieht sich diese Vereinigung des Kindes mit der Mutter nicht gegen den Willen des Vatergottes, nicht im Kampf gegen ihn als Konkurrenten, sondern in Harmonie mit ihm. Deshalb atmet das Naturbild des Gedichts Frieden. Der Himmelgott ist nicht dus-dius, sondern wohlwollend, heiter. Sein warmes Licht ergießt sich (im russischen Original steht  льется  / ljotsja „es strömt“, oder „es ergießt sich“) als Sperma in die geöffneten Furchen des Erdreichs, in dessen Geborgenheit die Spinne den Winter mit seiner Kälte und seinen Stürmen überstehen wird, um im Frühjahr wiedergeboren zu werden. Es ist ein Bild des alternden Menschen in dem (auch oft) heiteren Herbst seines Lebens. Frühling und Sommer, die Zeit des Zeugens, Kämpfens, Erntens, die oft schmerzlich und blutig ist, sind vorbei, aber ein hochzeitliches Erlebnis hat er noch vor sich: den Tod als Beginn der Wiedergeburt.

Mit Ödipus' Tod verwandt ist das Schicksal des Amphiaraos, wie Pindar es überliefert (33). Als der argivische Held und Seher am Zug der Sieben gegen Theben teilnimmt und bei der Belagerung der Stadt in Lebensgefahr gerät, spaltet Zeus mit einem Blitz die Erde, in der Amphiaraos samt Rossen, Wagen und Wagenlenker verschwindet. Das bedeutet nicht sein entgültiges Ende, sondern Wiedergeburt zu einem Dasein als Orakelgott, der unter anderem in Oropos ein Heiligtum hat.
Auch Erechtheus, der als attischer Lokalgott zusammen mit Athene im Erechtheion der Akropolis verehrt wurde, war davor ein Mensch, der in die Mutter Erde einging, aber nicht aus eigener Kraft, sondern durch Mitwirkung eines der oberen Götter: Poseidon, Bruder des Zeus, öffnete für ihn, wie Euripides in seinem Drama Ion 281f. überliefert, die Erde mit dem Schlag seiner phallischen Waffe, die bei dem Meerbeherrscher ein Dreizack (eine Harpune) ist, aber von Altphilologen auch unter Verweis auf Ilias 14, 385f., wo er als Waffe ein "Schwert, schrecklich und lang und einem Blitz gleichend" führt, als Blitz gedeutet wird (34).

An Ödipus, Amphiaraos und Erechtheus, die sterbend in die Erde eingehen, aber nicht entgültig tot sind, sondern zu einer erhöhten göttlichen Existenz wiedergeboren werden, erinnert das Schicksal Christi. Nach seinem Tod am Kreuz wurde er begraben, ruhte aber, bevor er wieder auferstand, in der Mutter Erde, und seine Sterbestunde begleitet ein Umstand, der auch zum Sterben der drei hellenischen Helden gehört: Die Erde öffnet sich (Matthäus 27) (35).
Ein weiterer Umstand erinnert an die Sterbestunde des Ödipus: Eine Finsternis kommt über das Land.
Unsere Interpretation will darauf hinaus, dass Jesu Tod sich wie der von Amphiaraos, Erechtheus und Ödipus im Rahmen eines Hieros gamos vollzieht, dass ein archetypischer Himmelsgott den Tod des Helden mit einem Gewitter begleitet, mit Sturmwind und Regenwolken Mutter Erde überschattet, ja in Finsternis hüllt und sie mit Donner und Blitz erschüttert und spaltet, so dass der uranische männliche Gott nicht Konkurrent, sondern Mitwirkender bei der Vereinigung des Helden mit seiner Mutter ist, ja sie erst möglich macht. Finsternis, die über die Erde kommt, und Spaltung der Erde überliefert Matthäus, auch dass sie von etwas erschüttert wird, aber es fehlen Sturmwind, Regenwolken, Donner und Blitz. Wurden sie aus der Schilderung entfernt, weil sie zu naturreligiös sind, zu sehr an einen heidnischen Wettergott wie zum Beispiel Zeus erinnern, der Winde loslässt, Wolken türmt, donnert und blitzt? Hat ein Zensor im Namen der christlichen Religion, die die Natur, sei sie um uns Menschen (zum Beispiel Sonne, Regen, Wind, Mutter Erde) oder in uns (zum Beispiel Sexualität), verachtet und überwinden will, deshalb Naturgewalten in der Schilderung getilgt und so den Archetypus verstümmelt? Um das glaubwürdiger zu machen, muss man sich wie ein Detektiv auf Spurensuche begeben. Sind von dem naturreligiösen Charakter, der beseitigt werden sollte, Spuren übrig geblieben? Wir nannten die Verfinsterung, die sich auf die Erde (ge) legt, ihre Erschütterung und Spaltung. Verräterisch ist auch die Tageszeit der Verfinsterung und des Todes, also des Eingehens des Helden in die Erde: Es ist der Zeitraum zwischen der 6. und der 9. Stunde, die Mittagszeit, wenn die Potenz der Sonne, also des männlichen Himmelsgottes, am größten ist (vgl. oben die Interpretation der Ovid-Stelle mit Zeus und Io).
Ein Christ, der sich seiner Natürlichkeit nicht schämt, dürfte gemeinsame Wurzeln mit anderen großen Religionen nicht als Herabwürdigung, sondern Bestätigung seines Glaubens empfinden
. Man muss sich auf seine Wurzeln nicht reduzieren lassen, darf, ja soll über sie hinauswachsen, sich von ihnen aber auch nicht lossagen - sie gehören dazu.

1) Sophokles: Ödipus auf Kolonos 1471 - Übersetzung: W. Willige

2) Der Nominativ Zeus, der lautgesetzlich aus *Djeus (Dehnstufe) entstand, zeigt die Verwandtschaft mit dies nicht mehr so gut wie die obliquen Casus, zum Beispiel der Genitiv Dios < *Di(v)os, das mit lateinisch divus "göttlich", dem Adjektiv zu deus "Gott", verwandt ist. Dass ursprünglich ein oberer Gott, Himmelsgott, gemeint war, zeigt dieses Adjektiv noch in Ausdrücken wie sub divo "unter freiem Himmel, im Freien".

3) Römische Priester, die Waffentänze abhielten; Name von salire "hüpfen, springen"

4) Übersetzung: Otto und Eva Schönberger

5) C. G. Jung: Symbole der Wandlung § 135 (GW 5)

6) Charles A. Eastman: Indian Heroes and Great Chieftains (Reprint 1991. Originally published: Boston 1918), Kapitel 7: Sitting Bull 

7) Übersetzung: M. von Albrecht (zweisprachige Reclam-Ausgabe)

8) Herodot  III, 28 - Wiedergabe nach der Übersetzung von Josef Feix (Tusculum). Das griechische Wort selas, das hier mit Strahl übersetzt ist, bezeichnet auch das Leuchten von einem Blitz oder Meteor, so dass man sich das zeugende Licht nicht nur als Sonnenlicht vorstellen kann; für einen Sonnenstrahl spricht aber, dass der Apis-Stier als Skulptur oft eine Sonnenscheibe als Zeichen für seinen himmlischen Erzeuger zwischen den Hörnern trägt.

9) Sabina Spielrein: Über den psychologischen Inhalt eines Falles von Schizophrenie. In: Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathologische Forschungen 3 (1912), S. 375 und 382f.

10) Spielrein, a.a.O., S. 383

11) Vgl. C.G.Jung: Symbole der Wandlung, GW 5, § 637-638

12) Antonius agiert als frommer Wundertäter souverän, der Sonnengott lässt sich die Verwendung seines Strahles als Haken für die Kopfbedeckung mit Wohlwollen gefallen. Weniger souverän reagierte Antonius früher, als eine andere Vaterfigur, der eifersüchtige Ehemann, seinen Hut mit seiner phallischen  Waffe, dem Degen, an die Wand spießte. Fromm zu werden und der sündigen Liebe zum Weibe zu entsagen, hat sich für Antonius also gelohnt!

12a) Mit –los, einem Suffix für Nomina und Adjektive gebildet; vgl. zum Beispiel dei-los „furchtsam“ mit e-dei-sa, sige-los „schweigsam“ mit sige „Schweigen“, typh-los „blind“ mit deutsch taub, aitha-los „Ruß“ mit aith-o „brennen“

12b) Dadurch erklärt sich auch, warum altgriechisch phal(l)aina sowohl „Wal“, als auch „Nachtfalter, Lichtmotte“ bedeutet. Ein Wal erweckt die Vorstellung von etwas Aufgeblasenem, Geschwollenem, „ein schwimmender Schlauch gleichsam“, wie Immisch (Sprachliches zum Seelenschmetterling, Glotta VI (1915), S. 197) erstere Bedeutung richtig interpretiert. Durch die Grundbedeutung „Licht“ kam es zur Bezeichnung auch für Nachtfalter, die ja von Lichtquellen angezogen werden.

12c) C.G.Jung: Symbole der Wandlung (Gesammelte Werke 5, § 180)

12d) Zur "Bedeutung des Blitzstrahls als Phallos" vgl. den fundierten Aufsatz von Wolfgang Speyer: Die Zeugungskraft des himmlischen Feuers in Antike und Urchristentum, in: Frühes Christentum im antiken Strahlungsfeld.

12e) Vgl. die Homer-Stelle Ilias 14, 346, die wir unten im Zusammenhang mit dem Tjutschew-Gedicht behandeln.

12f) Vgl. C.G.Jung: Symbole der Wandlung (GW 5), § 165: "Im Feuer wurde ebensosehr die wohltätige wie die zerstörende Kraft verehrt. Die Naturmächte haben immer zwei Seiten, wie wir schon beim Gotte des Hiob sahen." - Der Doppelcharakter des himmlischen Feuers, das zugleich belebt und vernichtet, ist auch Thema eines Gedichts von Tjutschew: Beruhigung / Успокоение:

Die Donner sind verstummt - noch rauchend liegt,
Gefällt vom Blitz des Zeus, die hohe Eiche.
Durch sturmerfrischtes Grün im Winde fliegt
Blaugrauer Rauch aus dem Geäst der Leiche.
Und voller, heller durch die Wälder klingt
Verjüngter Gruß - schon lang die Vögel schlagen.
Ein Regenbogen, der sich siegreich schwingt,
Lässt sich von grünen Wipfeln tragen.

(Im Original sind es die Blitze des slawischen Gottes Perun, den ich aus metrischen Gründen durch sein altgriechisches Pendant Zeus ersetzt habe.)

13) Übersetzung: Oskar Werner (Ernst Heimeran Verlag)

14) Proklos: Kommentar zu Platons Timaios 293C. vgl. auch: Albrecht Dieterich: Mutter Erde. 3. Auflage 1925, S. 45f.

15) N. Trubetzkoj: Urslav. *dъždžь "Regen" In: Zeitschrift für slavische Philologie 4 (1927), S. 62-64

16) Vgl. Fußnote 2

17) Warum *dys-dios im Griechischen fehlt, wissen wir nicht; dafür hat das Altindische (klassisches Sanskrit) etwas mit vergleichbarem Bedeutungswandel: dur-divasah oder dur-dinam "hässlicher Tag" > "Unwetter" - vgl. Trubetzkoj, a.a.O., S. 63

18) Sigmund Freud verweist in Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci (GW VIII, 198) darauf, dass Vögel oft Phallus-Symbole sind, dass zum Beispiel das italienische Wort für Vogel, uccello, zugleich Penis bedeutet, und dass das vom deutschen Wort Vogel abgeleitete Verb vögeln den Geschlechtsakt bezeichnet. Das Füttern des Adlers als Symbol für den Geschlechtsakt hat auch Thorvaldsen mit seiner Skulptur Ganymed mit Jupiters Adler gestaltet - zum Adler als Phallus Gottes siehe auch hier

19) Übersetzung: Johann Heinrich Voß

20) Da wäre noch ein "heikler" Punkt: Hebe ist Zeus' Tochter. Das Gedicht hätte also auch Inzest zum Thema. Wahrscheinlich deshalb wurde in mehreren sowjetischen Schulbüchern diese Gedicht ohne die letzte Strophe abgedruckt (vgl.                ) - die prüden Sowjetpädagogen müssen etwas geahnt haben! Bei Homer schläft Zeus mit seiner Schwester Hera; Inzest gilt als Vorrecht der Götter - vgl. Wolfgang Speyer: Zum magisch-religiösen Inzest im Altertum. In: Wolfgang Speyer: Frühes Christentum im antiken Strahlungsfeld. Kleine Schriften III. 2007. S. 137-152.

20a) Eine Art Initialzündung, die Frankensteins Forscherdrang auf die Benutzung von Galvanismus, also Elektrizität lenkt, ist die Beobachtung eines Gewitters in Kapitel 2. Der junge Victor erlebt die Allgewalt eines Blitzes, der in einen Baum fährt, und kommt dadurch auf den Gedanken, sich mit Hilfe von Elektrizität zum Herren über Leben und Tod aufzuschwingen. Die zerstörende und zugleich zeugende Kraft des Blitzes ist auch Thema eines Tjutschew-Gedichts - vgl. Fußnote 12b.

21) uranisch = himmlisch, von griechisch Uranos "Himmel"

22) "im Äther wohnend" - so werden sie immer wieder bei Homer charakterisiert

23) An die Wurzel *per- ist das russische Suffix -un gehängt, vgl. russisch korsch-un "Geier, Weihe, Milvus" mit ukrainisch korsch-ak "dasselbe". Das Suffix -un haben z.B. russisch gorb-un "Buckliger" zu gorb "Buckel", bolt-un "Schwätzer" zu bolt-at' "schwätzen" und viele mehr. Von der slawischen Wurzel *per- "Feder, Flügel" sind gebildet: tschechisch, slovakisch, serbokroatisch, bulgarisch pero "Feder", polnisch pióro "Feder", altrussisch pero "Feder, Flügel", urverwandt sind litauisch sparnas "Flügel, Fittich" und lettisch sparns "dasselbe".

24) Hermann Usener: Keraunos, in: Rheinisches Museum für Philologie 60 (1905), S. 26, vgl. auch S. 23f.

25) Plinius: Naturkunde, X,15

25a) Donald Fraser: Winning a Primitive People, S. 65 - Vgl. auch: Alice Werner: Myths and Legends of the Bantu, Kapitel XV

26) Der Kleine Pauly, Artikel Horus

27) Vgl. C.G.Jung: Symbole der Wandlung (GW 5, S.126-127, dort Abbildung 12)

28) Aristoteles: Tierkunde / Historia animalium 620a1

29) Walde-Hofmann: Lateinisches etymologisches Wörterbuch, s.v. aquilus und aquilo

30) vielleicht über aquila avis - das wäre eine Erklärung für die weibliche Endung und das weibliche Geschlecht.

31) Kaikias, Im Griechischen Bezeichnung eines Nordostwindes, ist etymologisch verwandt mit lateinisch caecus, dessen geläufige Bedeutung "blind" ist. Die weniger geläufige, aber wohl ursprüngliche Bedeutung ist "lichtlos, dunkel, finster".

31a) Natalie Curtis Burlin: The Indians' Book, S. 254

32) C.G.Jung: Symbole der Wandlung (GW 5). Das Thema durchzieht fast das ganze Buch, vgl. zum Beispiel S. 286ff. - interessant in diesem Zusammenhang ist der griechische Begriff thalamos, der sowohl "Brautgemach" als auch "Hades" bedeutet.

32a) Rainer F. Foelix: Biologie der Spinnen. 2. Auflage. 1992, S. 246f.

32b) a.a.O., S. 264

33) Neunte Nemeische Ode 24ff., Zehnte Nemeische Ode 143f.

34) Hermann Usener: Keraunos, in: Rheinisches Museum für Philologie 60 (1905), S. 22f.

35) Genau genommen sind es die Felsen, die sich spalten, die aber zur Erde gehören.

   
 
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