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Armer Leser, Benzin wird dir zu teuer, du kannst nicht mehr Autofahren, dein Leben ist leer wie dein Tank – so der Tenor einer Post von Wagner vom 23. 5. 2007, und das soll keine Schmähung sein, sondern trösten durch Mitgefühl. Mich würde solch ein Mitleid beleidigen, aber BILD-Leser ticken offenbar anders. Was sind das für Wesen, an die Wagner sich wendet? Versuchen wir, es aus dem Text zu erschließen:

"Liebe Tankstelle,ach, Deine Memoiren würde ich gern schreiben, als der Liter um die 50 Pfennig kostete. Du eine Bude warst mit zwei Zapfsäulen – und der Tankwart Zündkerzen und Luftfilter wechselte. Die Kanzler hießen Adenauer, Brandt. Kulenkampff gab’s im Fernsehen. Man kam gern zu dir, liebe Tankstelle. Volltanken – und ab in die Freiheit. Als der Liter noch 50 Pfennig kostete, durften Unverheiratete nicht in ein Hotel (Kuppel-Paragraf). Wir fuhren für 50 Pfennig in den Wald. Sie, ich und mein treues Auto."

Das richtet sich an Leser im Rentenalter (oder kurz davor). Sie sehnen sich nach ihrer Jugendzeit zurück, die ihnen Wagner nostalgisch verklärt.
Ja, und was nennt Wagner als Inbegriff des Schönen der verklärten Jugend? Als einziges Beispiel dafür? Sexuelle Erfüllung – also wendet er sich an Leser mit nachlassender oder schon erloschener Potenz, sonst würden sie sich ja nicht so heftig in die Zeit zurücksehnen, als sie noch konnten.
Ältere Westdeutsche mit Potenzproblemen dürften die Hauptmasse der BILD-Leser sein (junge Deutsche gibt es ja immer weniger).
Den alt und kraftlos gewordenen Leser zieht es heute immer noch dahin, wo er als Jüngling sein Glück fand: in den Wald, um zu genießen: die „kühle Waldluft“, das Bad im „froschgrünen“, weil von Bäumen beschatteten See – Wagner versteht es, romantische Saiten anzuschlagen. Aber was ist das für eine Romantik, die ohne Benzin unerreichbar ist? Und was war das für ein Liebesglück damals, das ohne Auto unerfüllt geblieben wäre? Es ist die falsche Romantik der Autowerbung, die mit schönen Bildern suggeriert: Wenn du dir das Auto einer bestimmten Marke kaufst, beeindruckst du attraktive Frauen und erreichst verborgene Idyllen. Franz Josef Wagner hätte auch Werbetexter werden können.  

In der nostalgischen Erinnerung beflügelt die Tankstelle durch phallische Symbolik: Zapfsäulen und Zündkerzen. Heute ist sie ein „Ort des Horrors“. Horror wovor? Vor dem Alter? Der verminderten (auch sexuellen) Antriebslosigkeit (nichts im Tank) und Genussfähigkeit? Nein, natürlich nicht. Von dieser kränkenden Wahrheit wird der Leser verschont. Schuld ist der hohe Benzinpreis – da stellt sich natürlich der Gedanke an die Benzinsteuer (mit Ökosteuer) ein (die bösen Grünen!), und ein Link führt vom Artikel zu den „miesen Tricks der Benzin-Bosse“.
Es tut so gut, Schuldige zu finden: Gerissene Benzin-Bosse treiben durch ihre Machenschaften die Preise hoch und machen das Schöne im Wald unerreichbar.
Doch wo Wagner Recht hat, hat er Recht: Ohne Sprit ist das Leben des BILD-Lesers leer wie sein Tank – im Kopf hat er auch nichts.

   
 
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