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Seyran Ates, die ihre Menschenkenntnis nicht im Elfenbeinturm der Theoretiker erworben hat, kritisiert in einem taz-Interview gutmenschelnde Multikultianhänger. Was sie zu sagen hat, wirkt stellenweise widersprüchlich und orakelhaft nebulös, fließt aber aus Intuition:

Diese verantwortungslose Multikulti-Heile-Welt-Propaganda beinhaltet auch eine Form von Rassismus. Denn diese Leute wollen, dass meine Leute, die aus der Türkei kommen, nicht hier ankommen. Sie fühlen sich selber als Deutsche unwohl und wollen deswegen auch von Ausländern, dass diese sich hier nicht integrieren. Multikultis grenzen uns auch aus. … Sie lieben alles Fremde und möchten nicht deutsch sein – und wenn Sie einen Migrationshintergrund haben, sind sie für einen Multikulti der beste Mensch auf Erden. Aber für den Multikulti hat der Migrant immer einen geringeren Intelligenzquotienten als ein Deutscher. Sie schauen sich unsere Entwicklung an wie in einem Zoo. Nach dem Motto: Mal gucken, wie der anatolische Bauer sich entwickelt.  …
Oh, ja, die Multikultis lieben mich, für sie ist meine Existenz der Wahnsinn. Ich bin dazu da, diese Menschen durch mein Dasein glücklich zu machen. Aber ich muss auch in der Schublade bleiben, ich darf mich nicht entwickeln, ich muss die Ausländerin bleiben, ich bin immer die Exotin.

Was sie uns vorwirft, hat ja Tradition. Stellen Sie sich vor, Karl May hätte Winnetou III so geschrieben: Winnetou reitet mit seinem Old Shatterhand nach New York und integriert sich, säuft Whiskey, pokert und flucht, mottet seinen Federschuck ein, weil er sich für ihn schämt, kauft sich einen Sportwagen… Halt! Automobile gab es damals noch nicht, also anders: legt sich eine vergoldete Nobelkutsche mit livriertem Kutscher zu, kauft sich in einem stinkvornehmen Laden richtig teure schwarze Lederstiefel mit silbernen Sporen – er will ja dazugehören – lässt seine Schwester Nscho-Tschi  Klavierspielen lernen und immatrikuliert sich selber zu einem Soziologie-Studium. Solch einen Ausgang hätten die Leser aber übelgenommen, nicht wahr? Doch Karl May hat dafür gesorgt, dass der Indianer in seiner Schublade bleibt, sich nicht „entwickelt“. Und deutsche Zeitgenossen, die es zu den Türken zieht, wegen ihrer „unglaublichen Herzlichkeit“ (die den blasierten, verkümmerten Individualisten der Zivilisation freilich oft abgeht), wie Claudia Roth z.B. in einem Interview erklärte – Kinder und Betrunkene sagen die Wahrheit – die also aus gutem Grund deutsch-türkische Freundschaften pflegen, weil sie so an etwas Anteil bekommen, was sie selber verloren haben, wie enttäuscht wären viele von ihnen, wenn ihr anatolischer Winnetou sich einen Sportwagen kauft und seinen Schwanz parfümiert.
Nun enthält die zitierte Stelle eine merkwürdige Behauptung:

Aber für den Multikulti hat der Migrant immer einen geringeren Intelligenzquotienten als ein Deutscher.

Der Türke sei dümmer und trotzdem der bessere Mensch? Oder vielleicht gerade deshalb? Ist denn Intelligenz etwas Schlimmes, eine Sünde? Nun gut, in Deutschland hat dieses Menschenbild Tradition, aber eine gute? Im Dritten Reich galt der Hitlerjunge, der „flink wie ein Windhund“ war, mehr als der Brillenträger, Bücherwurm, Streber, holte der Turnlehrer gegenüber dem Lateinlehrer an Ansehen kräftig auf, galten körperliche Gesundheit und Fitness mehr als Bildung, der Soldat mehr als der Pianist, die alten Germanen, die noch nicht durch Christentum und griechisch-römische Bildung gezähmt waren, mehr als die nachfolgenden, zivilisierteren Deutschen, obwohl die deutsche Kultur doch aus Germanentum, Christentum und antiker Bildung entstanden war. Ein faschistisches Ideal also? Hm, das findet sich auch links, wenn man die Asterix-Hefte eher links als rechts ansiedelt. Auch da gibt man den rauflustigen, unkultivierten gallischen Barbaren den Vorzug vor der römischen Zivilisation, die verächtlich gemacht wird, obwohl doch Frankreich aus Galliertum und antiker Kultur entstanden ist. Troubadix, der Künstler und Intellektuelle (er gibt den Dorfkindern Schulunterricht) ist eine lächerliche Figur, Lateinpauken ist Scheiße (Der Kampf der Häuptlinge) und Miraculix, der weise Alte, ist nicht der Typ des Intellektuellen, sondern des Sehers und Priesters. Die Asterixhefte sind von und für Menschen geschrieben und gezeichnet, die sich als zivilisierte Europäer unwohl fühlen, das gilt besonders für die Trabantenstadt. Oh ja, diese Abneigung gegen Kultivierung und Überfeinerung gibt es auch links, zum Beispiel in dem Degenhardt-Song Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, das ist O-Ton 68. Seyran Ates’ Bemerkungen zielen in die richtige Richtung. Wir Zivilisierten hassen uns selbst und verehren die Edlen Wilden, die türkischen und arabischen Asterixe und Obelixe, diese Schläger, von denen der Film Wut einen vorführt, nicht gutmenschelnd, sondern realistisch, freilich übertrieben.
Auch ich habe als Heranwachsender Winnetou geliebt und sehe die Schattenseiten unserer Zivilisation. Aber sie hat ja auch ihre Vorzüge, die ich vermissen würde. Verdient sie unterzugehen? Dann sollen die islamischen Parallelwelten kräftig weiterwachsen. Bekanntlich kam die Gesundung des dekadenten römischen Gallien nicht aus sich selbst heraus, nicht aus unbeugsamen gallischen Dörfern, sondern von außen: von den germanischen Eroberern, unseren Vorfahren - wir waren das. Geschieht das jetzt mit uns und den anderen altersschwachen aussterbenden europäischen Nationen? Oder gibt es einen Weg, unsere Zivilisation zu retten, wie das der östlichen römischen Reichshälfte gelungen ist, die als Byzantinisches Reich noch lange weiterlebte, freilich nicht mehr als Großmacht und fast ständig schrumpfend. Man müsste darüber reden, und zwar ohne Tabus - es geht um unsere nächste Zukunft.

   
 
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